Syrien

Wo sind sie denn nun, die Schurken? Es war immerhin kein geringerer als der damalige Präsident der Vereinigten Staaten Georg W. Busch, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit den genialen Einfall hatte, Syrien in eine Liste der sogenannten Schurkenstaaten aufzunehmen. Die Autoren unserer Reiseführer flöten zwar allesamt im Einklang, wie gastfreundlich, hilfsbereit und überhaupt außerordentlich reizend der Syrer an sich sei, aber was wiegt das schon gegen das Wort eines amerikanischen Präsidenten, möchte man meinen? Also begeben wir uns auf die Suche nach dem Schurken.

An der Grenze finden wir ihn erstmal nicht. Wir sind gleichwohl von anderen Overlandern (so nennt man unsereins übrigens in Fachkreisen) vorgewarnt worden und haben uns auf eine nervtötende Einreiseprozedur eingestellt: haben unser GPS und unseren Weinvorrat aus Italien tief im Bauch von Mathilda verstaut und einige Dollarscheine griffbereit in die Hosentaschen gesteckt, um bei Bedarf dem einen oder anderen Grenzbeamten auf die Sprünge zu helfen - aber das alles hätten wir uns sparen können. Die Einreise ist zwar für Schengen-verwöhnte Mitteleuropäer etwas knifflig und die wöchentliche Dieselsteuer von 150 US$ womöglich ein bisschen überzogen. Aber nein, einem richtigen Schurken begegnen wir nicht.

Dann vielleicht auf der vierspurigen, autobahnähnlich Straße gleich hinter der Grenze. Der Verkehr kurz vor Sonnenuntergang wird mit jedem Kilometer, dem wir uns der Stadt Alleppo nähern, unübersichtlicher. Den syrischen Autofahrer erleben wir als heißspornig und ungeduldig. Seine Finger verhaken sich fortwährend mit dem Schalter für die Lichthupe. Und wenn er sie endlich davon befreit hat, kleben sie an der Hupe fest - und zwar alle zehn. Anders lassen sich die unerwarteten und unkontrollierten Fahrbahnwechsel nicht erklären. Die schiere Größe Mathildas schützt uns vor größeren Schwierigkeiten, denn auch hier gilt: size matters; wer mehr Masse hat, genießt Vorfahrtsrecht (oder weniger galant: erzwingt selbiges). Hinterm Steuer koreanischer Kleinwagen sitzen ausnahmslos Männer. Sie gestikulieren wild, wenn sie uns hupend überholen. Die einen, weil wir ihnen im Weg sind, die anderen, weil sie uns überschwänglich begrüßen. Einer beugt sich im Vorbeiziehen bei so etwa 80 km/h auf die Beifahrerseite rüber, kurbelt das Fenster runter und brüllt in rauem Bariton ein "Welcome to Syria" in die abgasverseuchte Abendluft heraus. Der Mann ist wahnsinnig, kein Zweifel, aber ein Schurke ist er nicht.


Bildergalerie Syrien

 

Alleppo ist noch vor Damaskus die größte Metropole des Landes und viele halten sie auch für dessen schönste - nur nicht die Menschen aus Damaskus. Wir flanieren über einen Boden, auf dem schon seit 4 Jahrtausenden Menschen der verschiedensten Kulturen das gleiche getan haben. Alleppo gilt als eine der ältesten, ständig bewohnten Städte überhaupt. In seinen Bazaren, die hier Suq heißen, nehmen wir orientalische Witterung auf, und das sprichwörtlich. Es duftet nach Kardamon, Zimt und Gewürznelken, nach Minze, Thymian und Rosenwasser. Lärmendes, geschäftiges Treiben in den engen Gassen, überschallt von den klagenden Gesängen der Muezzins. Die beweisen hier eine Ausdauer, welche ihre türkischen Kollegen blass aussehen lässt. Religion ist Privatsache, möchte man meinen. Nicht so in Syrien. Da dröhnt erst der Aufruf zum Gebet durch die Stadt, anschließend offenbar das Gebet selber und dann auch noch flammende Predigten. Und alles zeitgleich und audioverstärkt aus den Minaretten der Moscheen, die sich hier alle paar hundert Meter aneinanderreihen. Dieser Kakophonie kann sich niemand entziehen und sie erinnert gefährlich an die propagandistischen Zwangsbeschallung in den Straßen von Pjöngjang (und ich nähere mich gerade gefährlich der Gedankenwelt des Herrn Bush ...). Geräuschempfindliche jedenfalls sollten einen Bogen um Syrien machen - oder zumindest um seine Städte.

Wir fahren Richtung Osten, Richtung Wüste, Richtung Stille. Die Büsche am Straßenrand werden verstaubter und spärlicher, verschwinden schließlich ganz. Links und rechts von uns, vorne und hinten sehen wir nur noch Sand und Geröll. Darüber ein endlos weiter Himmel und dazwischen unsere unbedeutende Wenigkeit. So ist's recht! Die alte Geschichte von der Magie des großen Nichts offenbart sich uns wieder einmal. Sie rückt Perspektiven gerade und stellt die Dinge ins rechte (Sonnen-) Licht: Ich klein, Schöpfung kolossal. Mensch demütig, Mutter Natur göttlich - so was in der Art.

 

Die wenigen Menschen hier sind Beduinen. Sie leben weitgehend autark und wohnen in aus Ziegenhaare gewobenen Zelte, an denen wir mit unserer Luxuskarre vorbeirollen. Heiße Dusche trifft auf Tonkrug mit Wasser, Spültoilette auf Erdloch hinterm Zelt und solarbetriebenes Notebook auf Geschichtenerzähler. Was uns trennt sind nicht mehr als ein paar Meter Wüstensand und nicht weniger als eine halbe Galaxie Menschentum.

 

In Palmyra prallen die Welten unversehens aufeinander. Mitten im staubigen Geröll liegt eine Oase und in ihr breitet sich ein römisches Ruinenfeld aus, dass seinesgleichen sucht. Tempel, Torbögen und Kolonnaden erheben sich aus dem Sandboden und bilden eine unwirkliche Kulisse. Wir finden einen schattenlosen Stellplatz am Hotel Zenobia am Rand der Ruinen. Vor uns prachtvolle Säulen und mächtige Mauern. Dazwischen knattern Araber mit ihren Mopeds durchs Gelände und verschmutzte Kinder spielen Fußball zwischen antiken Pfeilern. Ein Beduine hat unweit unseres Lagers seine zwei Kamele in Stellung gebracht, um ankommende Touristen drauf sitzen zu lassen. Achmed heißt er. Wir kommen ins Gespräch, tauschen Höflichkeiten aus und trinken miteinander bitteren, mit Kardamon gewürzten Kaffee. Er erzählt von seinem Garten in der Oase, seinen Olivenbäumen und Dattelpalmen und von seiner Frau, die ihm jeden Morgen eine Kanne heißen Kaffee fertigmacht für seinen Arbeitstag zwischen den Ruinen. Wir beenden diese flüchtige Begegnung ohne Handel, ohne uns auf Achmeds Kamele zu setzen, einfach nur mit einem ehrlichen, freundlichen Handschlag.

 

Am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrüh - draußen ist es noch stockfinster - klopft es an unserer Tür. Ich stecke meinen Kopf aus dem Fenster und da steht Achmed. Er drückt mir ein Geschenk in die Hand: eine Tüte mit Datteln, Oliven und Öl. Er wirft mir ein "mar salam" entgegen und verschwindet wieder in der Dunkelheit. Achmed ist kein Schurke!

 

Schließlich Damaskus, Hauptstadt Syriens: Wechselhafte Geschichte, gräuliche Vorstadtwucherungen, prachtvolle antike Bauwerke, lärmendes Treiben, zauberhafter Suq, stinkende Luft, betörende Düfte, aufgeregte Menschen, - die volle Packung Orient. Es gibt einen Campingplatz und der ist sauber, grün und gepflegt und umgeben von einer Hässlichkeit aus Beton, Geröll und Müll. Wieder einmal spazieren wir durch eine geschichtsgeladene Altstadt. Wir sitzen in überdachten Gassen, trinken süßen Apfeltee und beobachten andachtsvoll den Trubel um uns herum. Wir nehmen ein Taxi zurück zum 10 Km entfernten Campingplatz, steigen ein paar 100 Meter vorher aus um noch beim Gemüsehändler am Eck etwas für das Abendessen zu kaufen. Als wir heim laufen, begegnen uns ein paar Halbwüchsige und fordern Geld. Sie drohen nicht, aber sie bitten auch nicht. Wir schütteln den Kopf, marschieren weiter und werden mit Steinen beschmissen. Keiner der Geschosse trifft. Und als wir uns energisch umdrehen, laufen die Pimpfe weg.

 

Da haben wir sie: die Schurkenbande!

 


Kurzfilmchen Syrien