Kenia III

(Die Internetverbindung hier am Victoria See ist viel zu lahm, um Fotos hochzuladen. Bilder kommen also später …)

 

Sich in einen Flieger zu setzen und die traute Heimat hinter sich zu lassen um innerhalb von Stunden an einem völlig fremden Ort wieder auszusteigen, das ist eine heikle Angelegenheit. Die Seele hinkt nämlich gewaltig hinterher, kann gar nicht so schnell folgen, davon bin ich fest überzeugt. Wie also wird es sein nach unserer über dreimonatigen Unterbrechung? Wird die „Fremde“ uns gnädig und behutsam aufnehmen. Werden wir anknüpfen können an die starken Monate, die hinter uns liegen oder werden wir die Unkompliziertheit und Bequemlichkeit unseres Münchener Lebens deutlicher denn je vermissen?

Das sind halt so die Fragen, die in unseren Köpfen schwirren, während der Flieger kurz vor Sonnenuntergang in Nairobi aufsetzt. Smiley vom Karen Camp holt uns wie vereinbart ab. Er hat uns damals schon zum Flughafen gebracht, als wir zurück nach Deutschland geflogen sind. Und wie damals erfüllt auch diesmal sein ausdauerndes Lachen den engen Raum des in die Jahre gekommenen Toyotas. Es erinnert an die deutsche Synchronstimme von Eddy Murphy – außer, dass es nicht gespielt ist. Wir fahren entlang der vierspurigen Mombasa Road hinein nach Nairobi, durch eine vom gnädigen Licht der Dämmerung geflutete urbane Welt, die sehr afrikanisch ist: improvisiert, arm, reizlos. Wellblechhütten, Ruinen, dazwischen ein im Bau befindliches Shoppingscentre nach amerikanischen Vorbild. Architektur in Afrika kennt im Wesentlichen zwei Aggregatszustände: im Bau befindlich oder im Verfall befindlich. Der eine Zustand scheint direkt in den anderen überzugehen.

 

Als wir Karen Camp erreichen, ist es stockfinster. Die Bar des Camps ist gut gefüllt an diesem Abend. Ken steht hinterm Tresen. Er hat die dunkelste Haut, die ich je an einem Menschen gesehen habe. Doch aus seinem schwarzen Gesicht strahlt das hellste Lächeln, als er uns erblickt. „Welcome back“ begrüßt er uns, und als ich mir ein Bier bestelle, weiß er noch genau, dass ich mich auf „Tusker Malt“ eingetrunken habe. Wir essen ein schnelles Sandwich, quatschen mit anderen Gästen und verlassen bald die Bar. Draußen im Dunkeln wartet Mathilda unter hohen Eukalyptusbäumen auf uns. Und ich schwöre: als wir uns ihr nähern, lächelt sie. Eine dicke Staubschicht bedeckt ihr Blech, doch alles ist an seinem Ort. Wir räumen ein paar Dinge in die Schränke und ziehen uns bald ins Bett zurück. Wir lauschen bei gelöschtem Licht vertrauten Klängen um uns herum. Das Surren der Grillen, Froschgequarke, in der Ferne ein bellender Hund, ein Moped rattert vorbei, Rascheln in den Bäumen: eine Horde Paviane tummelt sich in den Ästen über uns und einer pisst zielgenau und sicherlich nicht aus Versehen auf unsere Kabine. Und da wissen wir schon längst: wir sind hier gar nicht in der Fremde. Innerhalb dieser vier Wände sind daheim!

 

Um unserer hinterherhinkenden Seele auf die Sprünge zu helfen, muten wir uns gleichmal eine Überdosis Ostafrikanischer Schönheit zu: Wir beeilen uns, noch einmal in die Masai Mara zu kommen, dieser großartigen Naturlandschaft, der wir schon im März einen unvergesslichen Besuch abstatteten. Damals beobachteten wir Löwen, Hyänen, Zebras, Elefanten, Giraffen, Flusspferde, ja sogar zwei Nashörner. Warum wir noch einmal den schmerzhaft hohen Eintrittspreis löhnen, hat einen einzigen Grund: die Gnu Herden durchziehen um diese Jahreszeit das Gebiet.

 

Die Fahrt Richtung Südosten verläuft geschmeidig. Ahh wie schön, wieder hinter einem richtigen Lenkrad zu sitzen. Am Nationalpark angekommen lassen wir Mathilda draußen stehen. Nahe am Gate gibt es einen von Massai geführten Campingplatz. Bei unserem letzten Besuch haben wir gemerkt, dass sich das unbeschilderte Wegenetz in der Masai Mara wie ein Labyrinth über die Savanne legt. Orientierungspunkte sind wegen der gleichförmigen Graslandschaft schwierig auszumachen und wir wollen während des einen Tages, den wir für den Besuch einplanen, keine unnötige Zeit mit Navigation verpulvern. Noch vor Sonnenaufgang holt uns James mit einem betagten Land-Rover ab. Er ist Massai, und er kennt das Land seiner Vorfahren. Wir rumpeln über ausgewaschene Wege durch eine kalte Morgenluft. Ein Teppich aus frischem Grün bedeckt die Steppe. Anders als im Norden Kenias hat es hier geregnet. Es hätte zwar ruhig etwas mehr sein können, meint James, aber Mensch und Tier kommen klar mit der Menge.

 

Es ist die Zeit des Überflusses. Die Tiere, die wir gleich hinterm Parkeintritt mit fast schon routinemäßiger Beiläufigkeit beobachten, scheinen gute Laune zu haben. Außer vielleicht die Paviane, die auf der Piste herumlungern wie Jugendbanden im Slum von Nairobi und den Land-Rover und uns Insassen fixieren, als seien wir potentielle Opfer eines Raubüberfalls. Wir sind Zeugen des ungestümen Morgenquickies eines Löwenpärchens. Der Akt verrät eine leichte Neigung zu Sado-Maso-Methoden: Das Männchen beißt sich in den Nacken und den Kopf des Weibchens fest. Die beiden grollen und rangeln, doch schon nach Sekunden hat der Spaß ein Ende und das Liebespaar liegt Seite an Seite entspannt unter einer allmählich wärmenden Morgensonne.

 

In der Ferne machen wir eine riesige Herde aus. Was wir nun beobachten ist nicht weniger als die größte Wanderung von Landsäugetieren auf der Erde: Von Juli bis September ziehen Herden von Gnus, Zebras, Antilopen und Büffeln aus der südlichen Serengeti in Tansania in das Masai-Mara-Reservat. An die drei Millionen Tiere – die Hälfte davon Gnus - bewegen sich durch die Savanne, um der Dürre im Süden zu entkommen. Im Verlauf eines Jahres wandern die Tiere im Uhrzeigersinn über eine gut 1500 Kilometer lange Strecke vom Südosten der Serengeti nach Norden. Dann schwenkt der Strom, immer den Regenfällen und dem frischen Graswuchs folgend, nach Osten und anschließend wieder nach Süden.

 

Auf ihrer Wanderung müssen die Gnus etliche Flüsse durchqueren. Während der Regenzeit können sich gemächliche Gewässer in reißende Ströme verwandeln. Heute stellt sich den Tieren der Mara River in den Weg. Wir holpern an der Herde vorbei und nähern uns dem Fluss. Am Ufer parken wir den Land-Rover auf einer erhöhten Böschung. Tausende von Gnus und einige hundert Zebras versammeln sich am Wasser, doch sie zögern, in die reißenden Fluten zu springen. Von hinten drücken die Nachfolgenden, es ist ein heilloses Gedränge und Geschiebe, lautes Geblöke erfüllt die Luft und scharfer Geruch von ängstlichen Tieren. Wenn ein mutiges Tier schließlich in den Fluss springt, folgen ihm sogleich hunderte Artgenossen. Dann beginnt ein Wettlauf, der für viele mit dem Tod endet. Die Strömung ist reisend, am anderen Ufer erwartet die Geschöpfe eine fast senkrechte Böschung, die nur wenige schmale Korridore zum Erklimmen der Todeszone bereithält. Die Masse staut sich, die Tiere keilen sich ineinander, viele schaffen es nicht und ertrinken. Diese Tragödie wiederholt sich schubweise. Wir beobachten während der rund 1 ½ Stunden, die wir da stehen und fassungslos zuschauen, Hunderte von Gnu Leibern, die leblos den Fluss hinabtreiben. In den ersten Tagen der Flussdurchquerung nutzen auch noch zahllose Nilkrokodile die Gunst der Stunde und attackieren die hilflosen Tiere. Inzwischen scheinen die Reptilien gesättigt zu sein. Kein einziges Krokodil lässt sich an diesem Morgen blicken.

 

Was lässt sich Mutter Natur da nur für grausame Methoden einfallen, um einer Überpopulation entgegenzuwirken? Sie stattet die Gnus mit so wenig Intelligenz aus, dass die nicht auf die sinnige Idee kommen, etwas weiter flussabwärts die Hürde zu nehmen, wo der Fluss zwar doppelt so breit ist, aber eben auch nur halb so tief, und wo vor allem das gegenüberliegende Ufer flach und kinderleicht zu erklimmen ist. Ist das nun trickreich oder brutal? Nichts dergleichen. Schöpfung lässt sich nicht in gefühlsmäßige, menschelnde Attribute einordnen, das ist uns schon klar. Sie ist nicht grausam oder gnädig, nicht niedlich oder erbarmungslos. Natur ist, Punkt. Das ist die eine Erkenntnis in diesen Tagen. Die zweite – so viel vorneweg - hat Jakob Strobel y Serra von der FAZ einmal so formuliert: „Alles ist da in Ostafrikas Ideallandschaft, alles ist gut und an seinem Platz, jedes Tier, jede Pflanze, Berge, Täler, Krater, Ebenen. Es ist die perfekteste Version der Erde, die Schöpfung am sechsten Tag, früher Nachmittag, der Lehm ist noch nicht angerührt. Nichts fehlt zur Vollkommenheit, vor allem nicht wir Menschen, die wir uns doch für die Krönung halten. Es ist wunderbar. Und wir sind überflüssig.“

 

Wir ziehen gemächlich Richtung Westen, der Grenze nach Uganda entgegen und Kenia hält uns weiterhin in Atem. Wir campen an traumhaften Flecken, wie den beiden Süßwasserseen Lake Naivasha und Lake Baringo. An letzterem stehen wir direkt am Ufer, als bei Sonnenuntergang 3 Flusspferde aus dem Wasser trotten und keine 10 Meter von uns entfernt zu grasen beginnen, während wir da draußen in unseren Campingstühlen sitzen und zu Abend essen. An dieser Stelle sollte man vielleicht erwähnen, dass das Flusspferd das gefährlichste Tier Afrikas ist. Jedes Jahr sterben hier mehr Menschen durch Flusspferd-Angriffe als durch alle anderen Tiere auf diesem Kontinent zusammen (so steht es jedenfalls bei msn-Wissen). Am Lake Bogoria mit seinem alkalischen Wasser beobachten wir fasziniert tausende von Flamingos, wie sie schnatternd und synchron am Uferbereich durchs Wasser pflügen auf der Suche nach Nahrung – ein wunderbares Vogelballett. Wir durchfahren ein grünes, durchnässtes Land. Fast jeden Tag fallen Regentropfen. Im kleinen Städtchen Eldoret finden wir einen gut bestückten Supermarkt, wo wir unsere Reserven auffüllen können. Gerade als wir den Laden betreten fängt es an zu schütten und als wir ihn nach nicht mal einer Stunde wieder verlassen, hat sich zwischenzeitlich die Hauptstraße des Ortes in einen reißenden, braunen Strom verwandelt, der allerhand Unrat mit sich führt. Wieder neigen wir dazu, Natur als zerstörerisch (oder hier vielleicht als reinigend) zu beschreiben, und wieder liegen wir daneben. Im Kakamega National Reserve durchwandern wir die letzten Regenwaldbestände Kenias und als wir diese wuchernde Wildnis betreten, ist es, als hüpften wir mitten in ein Gemälde Henri Rousseaus hinein.

 

„Hakuna matata“ lautet die Devise der Kenianer und sie bedeutet wörtlich übersetzt: „Es gibt keine Probleme“. Ist das nicht ein außerordentliches Motto in einem Land, das in Wahrheit mit so vielen Problemen zu kämpfen hat? Kenia ist wunderschön, vielfältig und trotz aller Armut und Korruptheit unkompliziert zu bereisen. Das Land erfüllt all die Sehnsuchtsbilder von Afrika, die in unseren Köpfen herumgeistern. Über acht Wochen haben wir mit Unterbrechung hier verbracht, und es waren die besten Wochen unserer Reise bis dato. Wir hatten wunderbare Begegnungen mit armen, aber charmanten, positiven Menschen, die uns mit ihrer Heiterkeit nicht selten beschämten. Fast möchte man glauben, dass da ein widersprüchlicher Zusammenhang besteht: je beschwerlicher das Dasein, desto größer die Lebensfreude.

 

Morgen verlassen wir das Land und reisen in Uganda ein. Wir nehmen viel wertvolles mit aus Kenia: starke Erinnerungen, einen Haufen Tüten Haribo Gummibärchen, tolle Bilder im Kopf und auf der Speicherkarte, die alte Erkenntnis, dass Zufriedenheit keine materielle Angelegenheit ist und … einen Leitsatz: „Hakuna matata!“