Südafrika I

Auf den ersten Blick suchen wir in Südafrika ziemlich vergeblich nach afrikanischen Attributen. Wir fahren auf schlaglochfreien Landstraßen durch eine vermeintlich schlaglochfreie Welt. Wir rollen über weites Farmland und durchqueren aufgeräumte Provinzstädtchen mit zweigeschossigen Zweckbauten entlang deren Hauptstraßen. Darin die immer gleichen Ketten von Lebensmittel-, Mode- oder Elektroläden. Toyota Hilux parken vor den Geschäften quer zur Fahrbahn. Ihre Fahrer haben weiße, sonnenzerknitterte Haut und tragen ausgeblichene Hüte mit breiten Krempen. Jedes dieser Käffer könnte städtebaulich gesehen ebenso gut in Iowa liegen oder im westlichen New South Wales. Jeder Supermarkt ist ein Schlaraffenland. Jede Tankstelle bietet die von Sabine suchtmäßig konsumierte Coca Cola light. Campingplätze verfügen über Wasser- und Stromanschluss und über „laundries“ mit Waschmaschinen und Trockner. Rentner sitzen auf Klappstühlen vor ihren Wohnwägen und beäugen kritisch jeden Neuankömmling. An der Rezeption schrullige Frauen mit etwas zu dick aufgetragenem Lippenstift und föhn- und festigergestählte achtziger Jahre Frisur.

War noch was? Ach ja, Schwarze gibt es auch im Land. 77% nach der letzten amtlichen Schätzung von 2005 (10% Weiße, 9% Coloureds, 3% asiatisch/indischer . Herkunft). Aber irgendwie kommt den Schwarzen hier eine Statistenrolle zu. Als weißer Tourist bewegen wir uns in Südafrika von einer weißen Enklave zur nächsten. Natürlich werden wir im Restaurant von Schwarzen bedient, aber der Laden gehört 99%ig einem Weißen. Natürlich sind die Klofrauen auf dem Campingplatz schwarz, aber die Besitzer sind weiß. Ein Heer von billigen, schwarzen Arbeitskräften verlässt morgens die Townships am Rande der adretten Städtchen, um als Kassierer, Kellner, Fahrer, Parkplatzeinweiser, etc. Dienst zu tun (und jeder von ihnen hat Glück, denn er/sie hat einen Job. Geschätzte 35 – 40% der Bevölkerung Südafrikas sind arbeitslos - die offizielle Zahl von 25% gilt als falsch). Abends zieht sich das Heer wieder in seine Welt zurück, und die ist für uns Tabu – auch und vor allem aus Sicherheitsgründen.

 

Ich will hier nichts schlecht reden: Südafrika ist die stabilste Demokratie Afrikas und die bedeutendste Volkswirtschaft des Kontinents. Obwohl hier gerade einmal fünf Prozent aller Einwohner zwischen Mittelmeer und Kap der guten Hoffnung leben, erarbeiten sie mehr als 20 Prozent der Wirtschaftsleistung. Doch jetzt kommen die Fakten, die dieses Bild trüben: Nirgendwo auf der Welt ist die Ungleichheit zwischen Arm und Reich so groß wie im Süden Afrikas. Fast die Hälfte der rund 50 Millionen Einwohner lebt unter der Armutsgrenze. Und noch immer gilt: Armut ist vorwiegend schwarz, Reichtum vor allem weiß. Der Traum des Übervaters Nelson Mandela, der einst die Regenbogennation ausrief, in der alle Hautfarben gleichberechtigt sein sollen, scheint sich bislang nicht wirklich erfüllt zu haben.

Auf kürzestem Weg durchqueren wir das Land von West nach Ost. Wir haben für 10 Tage Stellplätze auf verschiedenen Rest Camps im Krüger Nationalpark gebucht (auch das eine völlig neue Reiseerfahrung in Afrika: alle Welt reist – zumindest die Weiße - und Du musst im Voraus buchen, wenn Du im Urlaubsmonat Dezember ein nettes Plätzchen ergattern willst). Der Reiseführer liest sich vielversprechend: „Der Krüger ist ein Park der Superlative: Er ist Heimat der weltgrößten Ansammlung von Tierarten, 20.000 qkm groß und landschaftlich außergewöhnlich vielfältig.“ Kaum passieren wir das Melane Gate im Süden des Reservats laufen uns auch prompt Warzenschweine über den Weg. Das Land ist regendurchnässt. Dicke Wolken drücken gegen dichten Busch. Der trägt frisches Grün und das erschwert die Tierbeobachtung erheblich. Trotzdem sichten wir im Laufe des Tages Giraffen und Elefanten und in der Ferne sogar zwei Spitzmaulnashörner. Wenn das mal kein guter Anfang ist.

 

Am Rest Camp abends studieren wir die Tafel, worauf täglich in Form von farbigen Punkten angezeigt wird, auf welchen Wegen welche Tiere gesichtet wurden. Wir nehmen erstaunt zur Kenntnis, dass sie gesprenkelt ist mit roten (Löwen), grauen (Leoparden) und braunen (Geparden) Punkten. Und als wäre das nicht beschämend genug, fragt uns später unser Nachbar ungläubig, ob wir nicht den Kampf des Zebras mit dem Krokodil an der nahegelegenen Wasserstelle beobachtet haben. „Oh boy!“ sagt er kopfschüttelnd, und wir fühlen uns wie jämmerliche Safari-Versager.

Irgendwie haben wir das kompetitive Element dieser Veranstaltung vollkommen unterschätzt , aber wir geloben Besserung. Die nächsten 9 Tage ziehen wir ein straffes Programm durch. Vor Sonnenaufgang schälen wir uns aus unseren Betten, starten Mathilda und durchkämmen die Wildnis über tadellose Asphaltstraße oder sandige Pisten. Nach zwei Stunden halten wir an einer vielversprechenden Stelle – einem Wasserloch oder vor einem strauchfreien Feld, parken strategisch günstig unserer Mathilda und ziehen uns in die Kabine zurück. Wir öffnen alle Luken, bereiten uns ein Frühstück zu und während wir Kaffee/Tee schlürfen, beobachten wir weiter das tierische Geschehen um uns herum. Gegen Mittag erreichen wir unser nächstes Rest Camp, legen dort eine Pause ein, und zwei Stunden vor Sonnenuntergang ziehen wir wieder los auf der Suche nach den „Big Five“, nach Löwe, Leopard, Nashorn, Elefant und Büffel. Wir halten überall dort, wo andere Autos auch halten. (Manchmal stoppen auch andere da, wo wir gerade stehen, um dann festzustellen, dass wir nur die Straßenkarte studieren.) An einer Stelle warten gleich fünf Wagen! In der Ferne sehen wir Zebras und Wasserböcke grasen, aber ein Typ im Mercedes lässt die Scheibe herunter und erklärt, irgendwo würde eine Löwin auf der Lauer liegen. Man sähe sie nur gerade nicht.

 

Eine Stunde später ist noch immer nichts passiert, außer, dass da mittlerweile acht Wagen stehen.

Es ist ein zähes und oftmals erfolgloses Umherirren, was wir da betreiben, doch das entwickelt sich im Laufe der Tage zu einem sonderbaren Eigenrhythmus, an den wir uns gewöhnen und den wir schließlich sogar lieben. Nach und nach bewegen wir uns Richtung Norden. Der dichte Busch weicht allmählich offener Savanne, graue Wolken machen Platz für eitlen Sonnenschein und die Temperaturen ziehen kräftig mit. Am Ende unseres Aufenthalts im Nationalpark macht uns niemand mehr etwas vor in Sachen Tierbeobachtung. Stolz verteilen auch wir unsere Punkte auf den Tafeln diverser Rest Camps – nicht allzu viele, zugegeben, aber immerhin sind alle Farben dabei vertreten. Der Autorin unseres Reiseführers geben wir Recht. Krügerpark ist ein Phänomen, ein unvergleichliches Naturerlebnis. Allein seine schiere Größe ist einzigartig. Wir könnten noch wochenlang hier umherkreuzen zum Punktesammeln und würde wahrscheinlich nie auf denselben Wegen unterwegs sein. Seine touristische Infrastruktur ist beispielhaft und verglichen mit den Nationalparks in Ostafrika, wo Du für eine Nacht auf einem Acker locker mal 60 U$ hinblätterst, sind die Preise geradezu lächerlich. Als wir am Gate Punta Maria schon ziemlich nahe an der Grenze zu Simbabwe den Park wieder verlassen, überlegen wir kurz, ob wir nicht geradewegs wenden und noch einmal die Wildnis von Nord nach Süd aufrollen sollten. Wir tun es nicht. Der Südafrika-Reiseführer verspricht noch eine ganze Liste von Superlativen. Die gilt es abzuarbeiten …!

 


Bildergalerie: Krüger National Park