Zuhause

Eine lange Reise, erst recht wenn sie durch Afrika führt, ist kein Urlaub, kein Spaziergang im Park. Zuhause sind wir genormtes Teilchen einer vertrauten, funktionierenden Ordnung, die wir zwar gelegentlich als einengend empfinden, die uns aber auch Orientierung gibt und Halt. Zuhause, das ist organisiert, sortiert und verlässlich, und es ist gut so. Afrika ist die Gegenwelt zu dieser funktionierenden Ordnung: chaotisch, improvisiert und kunterbunt. In seinem Kosmos treten Gesetzmäßigkeiten außer Kraft, die die Dinge zuhause zusammenzuhalten scheinen. Es ist, als ob in Afrika die Schwerkraft nicht wirkt - und trotzdem treibt nicht alles auseinander. Das Leben dort funktioniert – nur halt nach völlig anderen Regeln und Normen. Diese Beobachtung verwirrte uns anfangs gewaltig, manchmal nervte sie tierisch, irgendwann berührte sie uns und schließlich veränderte sie die Sichtweise auf unsere eigenen Lebenskonzepte. Wer lange reist, ist früher oder später immer unterwegs zu sich selbst. Wer’s nicht tut, verpasst eine Chance.

Worauf will ich hinaus? Der schwierigste Teil einer Reise sei der erste Schritt, heißt es sinngemäß in einer asiatischen Weisheit. Weit gefehlt! Der schwierigste Teil ist ihr letzter Schritt; der nämlich, welcher Dich nach Hause bringt. Dann ist Inventur angesagt. Wir kommen zurück an den gleichen Ort, den wir verlassen haben, aber es ist nichtmehr derselbe Ort. Grundfragen stellen sich neu, Glaubenssätze relativieren sich. Was habe ich? Wonach sehne ich mich? Wovon will ich mich trennen? Was fehlt mir? Unser Leben, zumal in einer eitlen Stadt wie München, reduziert sich allzu sehr auf das, was wir haben. Solches definiert, was wir sind. Natürlich empfinden wir Dankbarkeit für unseren Wohlstand. Aber in den anderthalb Jahren Afrika, in denen ein großer Teil unseres Alltags von den Grundfragen des Über-lebens beherrscht wurde (wo gibt’s Lebensmittel, wo Trinkwasser, wo finden wir einen sicheren Ort für die Nacht …?) erkannten wir einmal mehr, wie wunderbar es ist, in seinem Kleiderschrank lediglich zwei kurze Hosen, zwei lange Hosen und ein paar T-Shirts zu haben zu haben – fertig. Die Schwerkraft in unserer Welt heißt Besitz. Manchmal kommt es uns so vor, als stehe Wohlstand in fundamentalem Widerspruch zu Leichtigkeit. Zu erfahren, wie andere ballastfrei fliegen, wie sie in aller Armut das Leben mit Gelassenheit angehen und wie sie Glück nach völlig anderen Maßstäben definieren, ist der beste Grund, loszureisen - und die beste Voraussetzung, nach der Rückkehr das eigene Leben neu zu sortieren.

 

Wir haben Konsequenzen gezogen. Wir geben unsere Altbauwohnung mitten in München auf und ziehen in ein 150 Seelendorf ins Bergische Land. Da sitze ich gerade zwischen Kisten und Koffern am Küchentisch und hacke diesen Text ins Notebook. Wenn ich aus dem Fenster hinausschaue, blicke ich auf eine alte Linde, in denen sich die Vögel tummeln. Leider sind die Äste noch kahl. Der Frühling lässt bekanntermaßen auf sich warten in diesem Jahr. Und dennoch: wenn ich die Augen zu Schlitze verenge und meine Phantasie von der Leine lasse, dann steht der Baum im Urwald an den Hängen des Karisimbi in Ruanda. Und der dunkle Schatten da zwischen den Zweigen könnte glatt ein Silberrücken sein (und nicht der silbergraue Benz vom Nachbar Pirtsch). Ihr seht schon: was wir erlebt haben, ist nicht abgeschlossen und vorbei. Es arbeitet weiter. Es hallt nach. Die Erinnerungen sind das kostbarste Souvenir, das wir aus Afrika mitgebracht haben.

 

Mathilda steht in einer Halle ein paar Kilometer von unserem Haus entfernt. Eine Woche nach unserer Rückkehr konnten wir sie bereits in Bremerhaven wieder entgegennehmen. Noch immer haftete der Staub der Savanne an ihrem Fahrwerk und getrockneter Elefantendung klemmte in ihren Profilen. Inzwischen sind diese Spuren beseitigt. Statt dessen prangt eine neue TÜV Plakette an ihrem Nummernschild, für die wir ziemlich kämpfen mussten hier in der Provinz. Meine ersten engeren Bekanntschaften im Bergischen Land sind ein vergrämter LKW-Mechaniker und ein penibler TÜV-Prüfer …!

 

Jeden Tag arbeite ich an unserem Buch über Afrika. Frederking & Thaler verlegt es, im Herbst wird es in den Buchläden sein. Ich muss quasi von Berufs wegen tagtäglich unsere Reise revuepassieren lassen. Kein schlechter Job, vielleicht gelegentlich etwas schmerzhaft. Das Buch ist unser Danksagung an die Menschen Afrikas. Sie haben es immerhin erst möglich gemacht. Und sie ließen uns Anteil haben an ihrer Welt der Schwerelosigkeit, des Gleichmuts, der Langsamkeit, der Lust am Lachen, am Leben, am Überleben trotz aller Kargheit und allen Mangels. Jede Begegnung zwischen Kairo und Kapstadt war eine Lektion in Sachen Menschlichkeit, nun liegt es an uns, die Lehren daraus zu ziehen.

 

Worauf wollte ich doch gleich hinaus? Ach ja: Die nächsten Reisepläne liegen selbstverständlich in der Schublade. Wenn wir uns die Landkarte von Afrika so anschauen, dann stellen wir fest, dass wir es gerade mal angekratzt haben. Es gibt noch viel zu entdecken … 2014/2015 höchstwahrscheinlich …!