Südafrikas Weinland

Afrika ist rau, kantig, chaotisch, provozierend, manchmal auch brutal. Eines ist es sicherlich nicht: lieblich. Oder aufgeräumt. Oder gefällig. Wenn man in einem Afrika landet, das lieblich und aufgeräumt und gefällig ist, dann stimmt was nicht. Dann ist Misstrauen angesagt. Tja, und da stehen wir nun verdutzt im Weinland Südafrikas. Denn - man ahnt es schon - hier ist es überaus lieblich, überaus aufgeräumt und überaus gefällig.

Wein trinkt man am Kap schon lange. 1652 gründete Jan van Riebeeck von der Holländischen Ostindien-Gesellschaft einen Stützpunkt am Tafelberg und wurde ihr erster Gouverneur. Und genau er war es auch, der die ersten Setzlinge aus Frankreich bestellte. Sieben Jahre später wurde der erste Wein gekeltert. Über die Qualität ist nichts überliefert. Doch da vermutlich weder der Gouverneur noch die ersten Siedler viel über den Weinanbau wussten (und die Setzlinge nur deshalb im steinigen Boden landeten, weil man damals glaubte, Wein könne Skorbut heilen), darf man getrost annehmen, dass er nicht allzu berauschend mundete.

 

Das hat sich inzwischen geändert. Rund 60 Weingüter gibt es rund um Stellenbosch, der Regionalhauptstadt etwa 30 Autominuten von Kapstadt entfernt. In einem davon mieten wir uns für drei Nächte ein: dem kleinen „Ridgeback Wine Estate“. 65 Hektar groß, 160.000 Liter richtig guten Wein produzieren sie hier. Besonders stolz ist Kellermeister Toit Wessels zurecht auf seinen 2008er Shiraz. Und da Weintrinken in geselliger Runde wesentlich mehr Spaß macht als in der ewig gleichen Zweierkonstellation, trifft es sich gut, dass unsere Münchener Freunde Sinje und Thomas gerade Urlaub in Südafrika machen. Zu viert ziehen wir los und testen uns einmal quer durch Cabernet Sauvignons, Merlots, Viogniers und Chardonnays.

 

Wir durchstreifen sattgrüne Hügel, wo die südafrikanische Wirklichkeit nur am Rande vorkommt. Mit akkurater Symmetrie reihen sich die Weinstöcke aneinander und lassen wenig erahnen vom schroffen, kahlen Urland, das die Siedler hier einst vorgefunden haben. Prachtvolle Herrenhäuser im kapholländischen Stil, mit Reetdächern, Giebeln, Säulenarkaden und Sprossenfenstern verweigern sich der afrikanischen Realität und spiegeln die Sehnsucht seiner Erbauer nach der verlorenen Heimat im fernen Europa wieder. Hier ist die (Buren-)Welt noch in Ordnung. Hier „lässt sich‘s Leben wie ein Millionär, ohne Millionär zu sein“, lesen wir in einem Zeitungsartikel. Hier herrscht Jenseits von Afrika, möchte man meinen, bis man den schwarzen Traubenpflückern im Weinberg begegnet. Deren Welt schaut nämlich nicht ganz so heile aus. Die bekommen für ihre Arbeit den ihnen gesetzlich zustehenden Mindestlohn von umgerechnet 6,40 Euro. Pro Tag wohlgemerkt. Weinbauer Toit, ein überaus freundlicher, junger Meister seines Faches, erzählt uns mit Sorge, dass es Bestrebungen gäbe, den Mindestlohn auf acht Euro pro Tag zu erhöhen. Wenn das durchginge, so meint er allen Ernstes, könne die Farm wirtschaftlich nicht überleben. Jeder Winzer an der Mosel muss spätestens an dieser Stelle in Heulkrämpfe ausbrechen.

 

Und schon sind wir wieder angekommen in Südafrika, dem wohlhabendsten, widersprüchlichsten und kompliziertesten Land des Kontinents. Dem Land des Mangels und des Überflusses, der Rückständigkeit und der Moderne. Und dem Land der getrennten Rassen. 18 Jahre nach dem Ende der Apartheid ist die Hautfarbe noch immer der gesellschaftliche Teilungsfaktor. Nur wird heute Rassismus hier subtiler gepflegt. Die Menschen leben in Südafrika nicht miteinander, sondern bestenfalls nebeneinander, so wie gestern und vorgestern und vor hundert Jahren. In Berlin, Paris oder London haben wir den Anschein, dass es zwischen den Ethnien liberaler und toleranter zugeht als in Kapstadt, Bloomfontain oder Stellenbosch. Seit drei Monaten reisen wir nun schon durch dieses Land. Wir haben zahllose Gespräch mit Weißen hier, namentlich Buren, geführt, und alle prophezeien unisono den Niedergang ihres Landes. Alle beklagen sich über das Versagen der neuen, schwarzen Regierung, jammern über Korruption, Gewalt und Inkompetenz. Sicherlich tun sie das aus gutem Grund. Tatsächlich bereichern sich die neuen Machthaber hemmungslos am öffentlichen Eigentum. Tatsächlich ist die Infrastruktur des Landes in desolatem Zustand und tatsächlich gehört Südafrika zu den gewalttätigsten Gesellschaften der Welt. Aber es wäre auch mal ganz nett gewesen, einem zuzuhören, der von der Schuld einer 50 Jahre dauernden Apartheid erzählt, wo Grausamkeiten jenseits unserer Vorstellungskraft begangen wurden. Scham oder Reue lässt kein Bure hier erkennen. Wenn man den Erzählungen glauben darf, erinnert das Ganze an die Nachkriegsjahre in Deutschland.

 

Wie kann es Versöhnung in Südafrika geben, wenn Schwarze womöglich mit überzogenen Erwartungen und Weiße mit übertriebenen Befürchtungen wie ehedem einander fern bleiben? Die einen ziehen sich in ihre hermetisch abgeriegelten, mit Elektrozäunen gesicherten gated communities zurück, die anderen bleiben in ihren Townships lieber unter sich. Eine Regenbogengesellschaft, wie sie Nelson Mandela verkündete, sieht anders aus.

 

Drei Tage halten wir unseren Alkoholpegel im Weinland auf konstant hohem Niveau. Morgens um 10 die erste Weinprobe, nach Mitternacht das letzte Gläschen Shiraz. Als wir uns am vierten Tag von Sinje und Thomas verabschieden, ist es gleichzeitig unsere Abreise von der Kap Region, in der wir uns die letzten 6 Wochen aufgehalten haben - und von Südafrika insgesamt. Das war keine Liebe auf den ersten Blick zwischen uns und diesem Land, aber auf den zweiten oder dritten ahnen wir schon etwas vom Reiz und Verführungspotential, denen so viele Deutsche hier erlegen sind. Vielleicht tragen ja auch und gerade die Spannungen und Widersprüchlichkeiten im Land zu seiner Anziehungskraft bei. Es geschieht etwas in Südafrika, es ist ein Land wie ein Experimentierfeld, ein Land im Prozess, dessen Ausgang offen ist. Südafrika bleibt spannend.

 

Hinter den Weinbergen erreichen wir die Halbwüste Karoo, eine Ödnis, so endlos und eintönig, dass noch nicht einmal die Straßen Kurven machen; so lebensfeindlich, dass jedes Stück Vieh anderthalb Hektar Weideland braucht, um halbwegs satt zu werden. Das beste Revier, um die Promillezahlen auf Normalwerte herunterzufahren. Wir lassen den Duft von geschnittenem Gras an den Glasufern des Sauvignon Blancs hinter uns und schnuppern wieder afrikanische Luft: rau, kantig, chaotisch, provozierend, und manchmal auch brutal. Auf nach Botswana!