Malawi

Eigentlich sind wir schon drauf und dran, Malawi auf unserer Reise Richtung Süden auszulassen und von Tansania direkt nach Sambia einzureisen. Doch dann beschreiben uns andere Reisende das kleine Land so widersprüchlich – ungastlich und korrupt die einen, überaus liebenswürdig und zauberhaft die anderen - dass wir uns geradezu provoziert fühlen, uns selbst ein Bild davon zu machen. Und das ist gut so.

Bevor wir Tansania verlassen, füllen wir den Dieseltank randvoll auf. In Malawi gibt’s zur Zeit so gut wie keinen Sprit*. Unsere Vorräte müssen durchs ganze Land bis nach Sambia reichen. Am kleinen Grenzübergang verläuft die Einreiseprozedur geschmeidig und geordnet. Hinterm Schalter für die zu zahlende Straßensteuer sitzt die junge Ruth, die uns nach kurzer Plauderei zu ihrer Hochzeit einlädt. Die findet zwar erst in 8 Wochen statt und bis dahin sind wir längst über alle Berge, aber mit Verlaub: wenn das mal kein charmanter Auftakt ist. "Welcome to Malawi - The Warm Heart of Africa" – an diesem Schild vorbei führt die Straße in das Land hinein.

Malawi ist eines der ärmsten Länder der Erde. Zwar kommt es, wie wir erfahren, in den Genuss einer beträchtlichen internationalen Entwicklungshilfe, ein Großteil der Summen aber scheint in den Taschen der Politiker zu verschwinden. Doch Malawi birgt einen enormen Schatz, den Malawisee, dessen schier unendliches Blau schon von der Grenze aus sichtbar wird. Mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von knapp 600 Kilometern und einer Wasseroberfläche von etwa 26000 Quadratkilometern ist er nicht nur der drittgrößte Afrikas, sondern auch eines der fischreichsten Gewässer der Erde. Fast 1.000 verschiedene Fischarten sollen darin schwimmen - eine weltweit einzigartige Explosion der Artenvielfalt. Die zierlichen Buntbarsche etwa wandern von hier in die Aquarien deutscher Wohnzimmer.

 

Die passable Straße windet sich hinab zum See. Ein Dorf mit strohbedeckten Hütten reiht sich an das andere, ein karger Acker folgt auf den nächsten. Ein halbwegs fruchtbarer Gürtel dehnt sich vom Seeufer etwa einen Kilometer ins Landesinnere aus, dahinter aber scheint das Land fortschreitender Desertifikation überlassen. Wir sehen keine Bewässerungsanlagen. Der Reiseführer schreibt von Erdnüsse, Sorghum, Baumwolle, Cassava, Tabak und Getreide, die hier gedeihen sollen. Davon ist auf den kleinen Markständen am Straßenrand wenig zu sehen. Tomaten und getrockneten Fisch kriegen wir während der nächsten 200 Kilometern angeboten, und damit erschöpft sich das Warenangebot weitgehend - womit sich in Malawi die alltägliche Frage „Schatz, was gibt es heute Abend zu essen?“ erübrigt.

 

Kinder laufen uns mit beinahe äthiopischer Euphorie nach. Sie sind allerdings unentschlossen, ob sie nun winken oder die Hand aufhalten sollen. Kräftige Frauen schreiten hoheitsvoll die Straße entlang. Sie tragen geflochtene Körbe auf ihren Häuptern, auf ihren Rücken Säuglinge in farbenfrohen Tüchern gebunden. Ihre Oberkörper scheinen zu schweben, wohlgeformte Hüften balancieren die Bewegungen der Beine mit Gravität und Eleganz aus – es ist ein einziger ondulierender Tanz (an alle Heidi Klums dieser Welt: hier trefft Ihr Eure Meisterinnen!). Mit der freien Hand winken sie uns zu und sie lächeln charmant. Männer verbringen den Tag unter schattenspendenden Mangobäumen. 90% der Malawier sind Kleinbauern, und da die Arbeit auf dem Acker wie überall in Afrika vor allem Aufgabe der Frau ist, gibt’s für Männer scheinbar nicht viel zu tun. Doch uns freundlich zuwinken tun auch sie. Ganz Malawi winkt uns zu.

 

Die Straße folgt dem Ufer des Sees. Verkehr ist spärlich bis nicht existent. In den schönsten Buchten – Nkhata Bay, Chinteche, Nkhotakota - gibt es Camps, die dazu einladen, den Diesel abzuschalten, die Hängematte aufzuspannen und Körper und Seele baumeln zu lassen. Das tun wir, und zwar ausgiebig. Wir wähnen uns an einem Meer, nicht an einem See. Die kleinen Badebuchten wirken wie eine Costa Brava ohne Touristen - nur die Baobabbäume lassen keinen Zweifel zu: Wir sind in Afrika. Wir spazieren an feinen Sandstränden entlang, steigen über ein paar Felsen und erreichen in der nächsten Bucht ein Fischerdorf, wo wir frischen Fisch kaufen, ehe der getrocknet wird. Wir grillen ihn stattdessen abends und dazu gibt’s … Tomatensalat.

Über dem See beobachten wir aufsteigende, riesige Rauchsäulen. Es sind Millionen und Abermillionen kleiner Seefliegen, die da dem Wasser entsteigen. Monatelang hielten sie sich als Larven in bis zu 250 Metern Tiefe auf. Ein auflandiger Wind treibt nun ganze Wolken dieser Fliegen aufs Festland zu und damit direkt in unser Lager. Die Insekten sind viel zu klein, als dass unsere Moskitonetzte sie aufhalten können. Wir teilen für einige Nächte unsere Kabine mit tausenden dieser lästigen Viecher, und damit hört der Spaß aber wirklich auf. Doch was wir als Ärgernis empfinden, ist für die lokale Bevölkerung eine willkommene Abwechslung auf ihrem einseitigen Speiseplan aus Tomaten und getrocknetem Fisch. Die Frauen im Dorf oberhalb unseres Camps ziehen mit geflochtenen Körben an langen Bambusstäben gebunden durch das Buschland und sammeln – die Körbe um sich schwingend – eimerweise die Fliegen ein. Daraus bereiten sie ein proteinhaltiges Relish zu oder auch frittierte Fladen. Ein Mitarbeiter des Camps führt uns – gegen Bezahlung - in sein Dorf. Wir werden von seinen freundlichen Bewohnern der Volksgruppe der Tonga eingeladen, den Insektenbrei zu probieren. Aus der Cassavawurzel haben die Frauen ein Püree zubereitet und aus Fliegen, den Blättern der Cassavapflanze und einigen anderen Zutaten, die wir im Detail nicht kennen (und vielleicht ist das ja gut so …), eine Art Chutney. Wir nehmen eine Handvoll Püree, formen es zu einem Löffel und füllen ihn mit dem Chutney. Die Mischung schmeckt leicht nussig, der kohlartige Geschmack der Blätter überwiegt. Die Dorfbewohner beobachten uns mit großem Palaver, die Begegnung der Kulturen bleibt nicht ohne einen Hauch von Peinlichkeit: Männer und Frauen stehen im Schatten ihrer Hütten und kichern über uns merkwürdige Besucher. Was für uns der Inbegriff von Exotik zu sein scheint, ist für sie das Einerlei ihres beschwerlichen Alltags.

Auf dem Rückweg kommen wir an der Dorfschule vorbei. Aus kleinen, flachen Betonklötzen ertönen Sprechchöre, die abrupt unterbrechen, als uns die Schüler erblicken. Dann gibt‘s kein Halten mehr. Dutzende von Kindern stürmen aus den Räumen und umringen uns lauthals. Ihre Lehrer eilen hinterher, doch anstatt ihre Schüler stoppen, reihen sie sich ein in das Tohuwabohu. Der Direktor, Mr. Yuwayewi, erscheint auf der Bildfläche und er lässt es sich nicht nehmen, uns durch seine Schule zu führen. 11 Lehrer unterrichten hier 800 Schüler aus den umliegenden Dörfern, die schichtweise auf 8 Klassenräume verteilt werden. Eine Klasse besteht aus 50 bis über 100 Schülern. Je 4 Schüler teilen sich eine Schulbank, ein Schulbuch und ein Schulheft. Mr. Yuwayewi geleitet uns in sein kleines Büro, wo auf einem einfachen Schreibtisch zwischen Stapeln von Heften und Mappen gespendete Bleistifte liegen. Mr. Yuwayewi persönlich teilt jeden Stift in zwei Teile, spitzt diese mit dem vermutlich einzigen Spitzer zwischen Lilongwe und der tansanischen Grenze und verteilt sie dann an seine Schüler. So kommt die doppelte Anzahl von Kindern an ein Schreibwerkzeug.

 

Mit einem Hauch von Stolz aber auch einem Anflug von Resignation zeigt uns der Direktor einen Nebenraum in dem sich alte gespendete Computer scheinbar aus Commodore-64-Zeiten stapeln. Stolz, weil natürlich jeder Lehrer gerne einen Computerraum vorzeigen möchte, Resignation, weil es in der Schule garkeinen elektrischen Strom gibt. Ein in jeder Hinsicht drastisches Beispiel misslungener Entwicklungshilfe. In Mathilda haben wir noch eine Kiste mit Blöcken und Stiften. Wir eilen hinunter ins Camp, holen die Kiste und überreichen sie Mr. Yuwayewi. Irgendwo in meiner Werkzeug-Sammelsurium-Notfall-Kiste versteckt sich zwischen Schraubzwingen, Lochblechen, Schleifpapier, 2-Komponenten-Kleber, Kabelanschlüssen, großen Schrauben, kleinen Schrauben, Blechschrauben, Holzschrauben … und Kronkorken aus 14 verschiedenen Ländern eine kleine Holzsäge. Vielleicht sollte ich die auch Mr. Yuwayewi schenken, damit er die Bleistifte fachgerecht teilen kann.

 

Wir verlassen Lake Malawi Richtung Osten und rollen über weite, fruchtbare Ebenen nach Lilongwe. Die Hauptstadt Malawis ist nach Plan gebaut. Es fehlt ihr die pulsierende Eigendynamik gewachsener Städte. Die verschiedenen Stadtviertel sind durch breite Straßen miteinander verbunden. Sie wirken angesichts des homöopathisch fließenden Verkehrs überdimensioniert und verraten, dass hier die Stadtplaner größeres im Auge hatten. Wir nutzen die guten Einkaufsmöglichkeiten, füllen unsere Lebensmittelreserven auf, verbringen noch zehn Kilometer außerhalb im beschaulichen Barefoot Camp zwei Nächte, eher wir uns Richtung sambische Grenze aufmachen.

 

Wahrnehmungen sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie haben. Sie spiegeln immer auch die eigene Sicht der Dinge und die eigene Rolle im Geschehen wieder. Schicke zwei Menschen zum selben Zeitpunkt an den selben Ort, lasse sie zurückkommen und ihre Geschichte erzählen: Du bekommst zwei völlig unterschiedliche Darstellungen – und keine ist falsch. Es gibt z.B. Menschen, die Hannover als attraktiv, die E-Klasse von Mercedes als stilistisch gelungen, Rosenkohl als köstlich und Paris Hilton als sexy beschreiben würden. Das alles kann man so sehen, man muss es aber nicht. Hier also unsere ganz persönliche Wahrnehmung (wie übrigens alles Geschriebene in diesem Blog immer nur einen persönlichen Eindruck wiedergibt): Wir haben ein überaus liebenswürdiges Malawi bereist, begegneten allenthalben freundlichen Menschen, erlebten entspannte, friedliche Tage in einem Land, dass ebenso zauberhaft ist wie arm und fehlregiert. Unser Tipp für Malawi: bloß nicht auslassen …!

 

 

*Für die Spritmisere in Malawi gibt es eine haarsträubende Erklärung: der Britische Botschafter erstellte für seine Regierung einen Report über den derzeitigen Präsidenten des Landes, Dr. Bingu wa Mutharika, in dem er ihn als machthungrig und demokratiefeindlich darstellt. Das geheime Papier geriet in die Hände des Präsidenten, und der war so erbost, dass er den Botschafter des Landes verwies – mit fatalen Folgen. Großbritannien liefert 40% des Haushaltetats Malawis, durch die Hände des britischen Botschaft liefen praktisch alle Geschäfte, die harte Währung ins Land brachten. Diese Geschäfte sind nun gestoppt, dem Land gehen die Devisen aus, es kann kein Benzin einführen. Man darf getrost davon ausgehen, dass Dr. Bingu wa Mutharika immer noch seine Mercedes Limousine auftanken kann …

 


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