USA: Ein Nachwort

Das muß ich noch kurz erzählen:

 

Neulich waren wir mit dem Roller im kleinen Ort Bishop, Kalifornien, unterwegs und wurden von einer Polizeistreife nach bester amerikanischer Manier gestoppt. Hinter uns jaulte eine Sirene auf,die uns unmißverständlich zu verstehen gab: rechts ran, anhalten, Hände an den Lenker, Maul halten. Ich schwöre: das Aufjaulen dieser Sirene allein läßt Dich um mindestens 10 Zentimeter schrumpfen.Aus dem stattlichen Polizeiwagen stieg ein Sheriff heraus, als würde irgendwo hinter einem Gebüsch versteckt die Kamera von Roland Emmerich laufen: Kaugummi kauend, Spiegelbrille im Gesicht, einfurchterregendes Waffenarsenal um die Hüfte gebunden, O-Beine. Nach einer kurzen, formellen Begrüßung ging's in belehrendem Ton, der keinerlei Widerspruch zuläßt, zur Sache. Folgende Vergehen wurdenuns vorgeworfen:

 

  • unerlaubtes Fahren eines nicht in den USA registrierten motorisierten Gefährts
  • unerlaubtes Befahren des Pannenstreifens
  • unerlaubtes Befahren eines 45 mi/h Highways mit einem untermotorisierten Gefährt
  • unerlaubtes Unterwegssein ohne mitgeführtem Reisepaß

 

Au Backe! Natürlich hätten wir bei dem einen oder anderen Punkt vorsichtig Widerspruch anmelden können (z.B.: „Entschuldigen Sie, Herr Officer, aber wir hatten ja keine Ahnung, daß sich das Schild „speed limit: 45 m/h" in dieser Region auf die minimale, und nicht auf die maximale Geschwindigkeit bezieht!"), aber das will sehr genau überlegt sein in einem Land, wo Uniformierte jeder Art einenRespekt genießen, von der jede Politesse in der Leopoldstraße nur träumen kann. Wir beugten uns statt dessen ehrfurchtsvoll dem Hüter des Gesetzes und wurden gönnerisch belohnt: Clint E. (ich nennihn jetzt mal so) zog sich in seinen Wagen zurück, sprach etwas in sein Funkgerät, machte Notizen, raufte sich die Haare, sprach noch mal ins Funkgerät und stieg schließlich wieder aus, setzte einestrenge, aber versöhnliche Mine auf und meinte, er würde es diesmal bei einer mündlichen Verwarnung belassen, wir sollten in Zukunft zu unserer eigenen Sicherheit das Gesetzt befolgen und dieNationalhymne sollten wir auch auswendig lernen (nein, hat er nicht gesagt, aber es hätte ins Drehbuch von Roland Emmerich gepaßt ...). Dann wünschte er uns noch eine gute Reise und rauschtekaugummikauend in seinem Polizeischlitten davon.

 

Einmal abends am Lagerfeuer saßen wir mit zweiDeutschen zusammen und plauderten so über die USA, und einer meinte, daß sich auf seiner Reise durch dieses Land nach und nach alle Klischees als unzutreffend herausstellten. Dem stimme ich nurteilweise zu. Tatsächlich trifft gleichzeitig genau das Gegenteil zu: ich finde, viele dieser Klischees erfüllen sich nicht nur, sondern werden geradezu gepflegt von den Menschen hier: Polizisten treten tatsächlich martialisch auf und tragen verspiegelte Sonnenbrillen, und genau so lieben sie sich. Bedienungen sind tatsächlich gutgelaunt und stellen sich erstmal mit Namen vor, ehe sie dieBestellung entgegennehmen. Der Nachbar auf dem Campingplatz ist tatsächlich leidenschaftlich patriotisch und erfrischend locker. Im Supermarkt an der Kasse werden Dir die Lebensmittel von einem Angestellten in Tüten verpackt, von dem man tatsächlich meinen könnte, es mache ihm Spaß. An jeder Straßenecke röhrt tatsächlich ein bedrohlich aufgemotzter Pickup und Du kannst darauf wetten, daßder Besitzer einen Kinnbart trägt und wilde Tatoos seinen muskelbepackten Oberarm schmücken.

 

Das Leben hier scheint eine Bühne zu sein (wo sonst, wenn nicht in den USA, könnte ein Arnold Schwarzenegger eine solche politische Kariere hinlegen). Es folgt einem simplen Drehbuch, in dem jedereinzelne seine Rolle spielt und in dem sich die Welt als gut oder böse, richtig oder falsch, schön oder häßlich darstellt! Schwarz/Weiß ist die Devise, mit Grautönen scheint sich der Amerikaner nichtbegnügen zu wollen.

 

Einerseits nervt das manchmal gewaltig (eben dann z.B., wenn selbst die Politik solch einem einfach gestrickten Denkmuster folgt), andererseits schafft es diesen herrlich klaren, berechenbaren, unverkrampften Umgang miteinander. Ich glaube, in dem Maße, wie die Gesellschaft hier einen gewissen Hang zur Hysterie pflegt, pflegt der einzelne eine Leichtigkeit, von derwir uns gelegentlich etwas abschauen könnten.

 

Unsere Reise durch die USA in den vergangenen Monaten ist so entspannt, sicher und reibungslos verlaufen, wie wir es weiter im Süden noch vermissen werden. Wir erlebten grandiose Szenerienund unvergleichliche Naturspektakel. Wir begegneten Menschen, die gastfreundlich, herzlich und nicht selten rührend bemüht waren, ihr Land in ein besseres Licht darzustellen, als es imAugenblick von außen wahrgenommen wird. Am Ende fanden wir sogar unseren ganz persönlichen Traumort: in Santa Fe fühlten wir uns so wohl, daß wir uns gegenseitig überreden mußten, die Reisefortzusetzen.

 

Kein Zweifel: Die USA ist ein großartiges, beneidenswertes Land. Seine Menschen sind trotz dieser übergeordneten Neigung zur Hysterie bemerkenswert optimistisch, mit einer geradezu instinktivpositiven Haltung zum Leben und seinen Möglichkeiten.

 

Der von mir hochgeschätzte Autor Bill Bryson* beschrieb es einmal so:

 

„Wenn man einem Amerikaner mitteilt, ein riesiger Asteroid stürze mit zweihunderttausend Stundenkilometern zur Erde und derPlanet werde in zwölf Tagen in seine Einzelteile zerfetzt, würde er sicher sagen: „Echt? Na, dann sollte ich mich wohl besser doch noch schnell für den Kochkurs 'Mediterrane Küche' anmelden." EinBrite würde auf dieselbe Ankündigung erwidern: „Das ist doch mal wieder typisch, was? Und hast Du den Wetterbericht fürs Wochenende schon gesehen?"...

 

Ein Deutscher würde noch schnell eine Hausratsversicherung abschließen. (So viel für heute zum Thema 'Klischees' ...)

 

*Bill Bryson: Streiflichter aus Amerika