Halb neun abends: Ich sitze in der kleinen Kneipe „Un Aperitivo“ in der Calle Aldama, unweit des Jardin Principal. Der Laden ist ein Ein-Raum-Restaurant unter einem mächtigen, alten Gewölbe. Der hintere Teil dient als Küche, darin kocht eine ältere Seniora mit korrekt nach hinten gekämmten, pechschwarzen Haaren. Immer wieder wirft sie einen strengen Blick hinüber in den Gastraum. Meint sie mich? Hab ich was falsch gemacht? Liegt es an meinem zerknitterten Leinenhemd?
Vorne stehen 6 Tische, drei davon sind besetzt. Mir gegenüber sitzen zwei blutjunge Traveler mit gewaltigen Rucksäcken neben sich – wahrscheinlich Europäer. Ihre T-Shirts sind noch zerknitterter als mein Hemd – das kann’s also nicht sein. Rechts von mir am Fenster ein älteres mexikanisches Ehepaar: Er hält sich gelangweilt an einer Flasche Victoria fest, sie – stark geschminkt, gewaltige Kreolen an den Ohren, perfekt gebügelte Bluse - redet ohne Unterlaß. Vor mir ist das Notebook aufgeklappt (neulich hab ich einen Kaffee über die Tastatur des Notebooks geschüttet. Seitdem funktionieren die „z“-, „x“-, „c“-, „alt“- und die Leertaste nicht mehr. Ich hab mir ein externes Keyboard gekauft, das ich per USB an den Laptop hängen kann. Das ist natürlich ein eher schlechtes Provisorium, nervt gewaltig und sorgt zusätzlich dafür, daß die Batterie noch schneller erschöpft ist. Einen Stromanschluß in diesem Restaurant gibt’s auch nicht. Ich darf mir also nicht allzuviel Zeit lassen für diese Notizen …). Ein Rotwein aus der Baja findet gerade noch Platz auf meinem kleinen Holztisch. Vorher hab ich einen Teller Enchiladas de Pollo gegessen, mit rohen Gemüsesticks als Beilage und einer scharfen Salsa Verde. Die junge Bedienung ist aufmerksam und hübsch und ihr Dekoltée kann es hinsichtlich der Schärfe mit der Salsa aufnehmen. Ich glaub, sie flirtet mit mir. Das geht in Ordnung.
Sabine verbringt den Abend außerhalb der Stadt bei Freunden, die sie über Ihren Aquarellkurs kennengelernt hat. Seit einer Woche trifft sie sich täglich im Atelier von der deutschstämmigen Edina und arbeitet an ihrer Pinseltechnik. Ich hingegen laß mich etwas hängen in diesen Tagen: die Kamera verstaubt (also nicht viel Fotos heute …), statt dessen sitze ich morgens im Cafe San Francisco am Jardin und beobachte Mexikaner, die Amerikaner beobachten, die in frische Pferdeäpfel treten, check zwischendurch meine Mails, treffe mich zwischen zwölf und eins mit Lupita zum Spanischsprechen, kümmere mich um Lucy, bei der’s Probleme mit den Einspritzdüsen gibt und sitze dann wieder im Cafe San Francisco.
Jeden Tag kommt Jesus hier vorbei. Jesus ist alt, bestimmt weit über 70. Er hat kaum noch Zähne und ist so wacklig auf den Beinen, das man gar nicht hinschauen möchte, wenn er die steile Calle Uranos hinaufgelaufen kommt. Anstelle eines Gehstocks hält er eine Gitarre in der Hand. Oben am Jardin, setzt er sich erstmal kurz auf eine Bank unter den schattenspendenden Jacaranda-Bäumen und macht Pause. Dann kommt er rüber zum Cafe und fängt an zu singen: seine Gitarre ist ziemlich verstimmt und seine Stimme rauh und ebenso wackelig wie sein Gang. Doch seine Musik ist von einer entrückten Zartheit und greifbaren Sehnsucht. Nach drei/vier Liedern geht er von Tisch zu Tisch und hofft auf ein Paar Pesos. Ich geb ihm jedesmal zu viel.
Donnerstags ist in der Schule Kochkurs mit Felix. Er ist Chefkoch im „El Campanario „ in der Calle Canal. Der Laden gilt als einer der feinsten der Stadt, und also ist Felix ein wunderbarer Koch. Außer mir nehmen vor allem US-amerikanische Damen in gehobenerem Alter mit einer Neigung zu Esoterik und Feng-Shui-konformem Lebensstil teil. Das ist ein Geschnatter! Ganz Verwegene bringen ihre Ehemänner mit. Die wiederum tun sich schwer mit dem Kochkurs und mit Felix, weil den alle Frauen lieben und begehren. Felix entspricht keinem Schönheitsideal, ist – selbst für mexikanische Verhältnisse - von eher kleiner Statur und neigt zu üppiger Körperfülle. Man würde ihn auch nicht als besonders humorvoll bezeichnen und der jüngste ist Felix auch nicht mehr. Aber er ist die Herzlichkeit in Person, und er kann halt einfach saugut kochen. Das macht ihn zu einem sinnlichen Menschen und irgendwie steht Frau darauf. (… und in meinem nächsten Leben werd ich Koch).
Ein bißchen will ich wiedergeben von dem, was ich bei Felix gelernt habe:
Die Wurzeln der mexikanischen Küche liegen im Südosten Mexikos, in der Kultur der Mayas. Sie ernährten sich von Wild, Fisch, Kürbis, Bohnen und - vor allem - Mais. Mais war so wichtig, daß ein eigener "Maisgott" angebetet und günstig gestimmt werden mußte. Aus Mais wurde vor allem Maismehl hergestellt - für Tortillafladen, Tamales und sogar Getränke. Nach der Eroberung durch die Spanier und während der Kolonialzeit unter der Herrschaft Spaniens änderte sich die Küche des Landes dramatisch. Mit den Konquistadoren und ihren Familien kam der Geschmack für Reis, Oliven, Wein, indische Gewürze und Rindfleisch ins Land. Heute ist die authentische mexikanische Küche eine Mischung aus den Traditionen der indianischen Ureinwohner und der Küche der spanischen Eroberer. Wir alle übrigens profitieren kulinarisch vom Erbe Mexikos: Truthähne, Vanille, Avocado, Mais, Tomaten und Kakao kennen die Küchen der Welt erst seit der Entdeckung Amerikas (keiner soll sagen können, ich habe nicht aufgepaßt im Kochkurs).
Zwei Irrtümer über die mexikanische Küche will ich an dieser Stelle gleich aus der Welt schaffen: Erstens gehört in mexikanisches Bier kein Limettenschnitz! Ein Stück Zitrusfrucht wird in Mexiko aus hygienischen Gründen auf den Flaschenhals gelegt. Nach dem Säubern wirft man es weg, drückt es also nicht in die Flüssigkeit. Zweitens ist Chili con Carne kein mexikotypischer Eintopf - das würzige Fleisch-Bohnen-Gericht stammt aus dem Südwesten der USA und ist in Mexiko fast gänzlich unbekannt.
Und wo wir schon so weit in die Materie eingedrungen sind – hier noch zwei sehr mexikanische Rezepte:
Die Guacamole ist ein Avocado-Dip, der auf keinem mexikanischen Tisch fehlen darf. Die Zubereitung ist keine Kunst: für 4 Personen zwei vollreife Avocados halbieren und entsteinen (am besten die Messerklinge in den Kern schlagen und diesen dann damit herausziehen). Das Fruchtfleisch mit einem Löffel herauslösen und in einer Schüssel mit einer Gabel zerdrücken, bis eine glatte Masse entsteht. Eine Tomate klitzeklein schneiden und mit einer kleinen, feingehackten Zwiebel, einer feingehackten Knoblauchzeh, zwei Eßlöffel geschnittenem Koriandergrün, zwei Eßlöffel Limettensaft und einem Spritzer Tabasco mit dem Avocadomus vermischen. Als Tip – hab ich gehört – soll man die Kerne wieder in die Masse legen – das verhindert, daß das Avocadomus zu schnell braun wird.
Und dann noch ein Cocktail, nämlich Pina Colada: Die sollte unbedingt mit frischen Zutaten gemixt werden! Rum (weiß, 6cl), Ananassaft (10cl), Kokossirup (4cl), Sahne (2cl) und 1 Scheibe frische Ananas im Blender zerkleinern und sahnig schlagen. Dann ein großes Cocktailglas bis zur Hälfte mit Crushed Ice füllen und mit dem Drink auffüllen. Ein Strohhalm vermeidet Sahnebärte! Als Deko hatten wir hier Ananas oder Cocktailkirschen.
Jetzt aber Schluß mit kulinarischem. Ich bin der letzte Gast im „Un Aperitivo“. Glas und Batterie sind so gut wie leer. Ich schalt die Kiste aus und werd bei der zauberhaften Bedienung noch einen Rotwein bestellen. Und wenn die Alte gerade nicht hinsieht, sollte ich vielleicht nebenbei einfließen lassen, daß ich ganz gut Pasta kochen kann …!