Colorado Plateau

Das Beste kommt zum Schluß! Gerade, als wir überzeugt sind, die grandiosen Erlebnisse der letzten Monate sind durch nichts mehr zu toppen, setzt dieses Land noch eins drauf. Gleich östlich von LasVegas erklimmen wir die Höhen des Colorado Plateau:

 

Diese Hochebene umfaßt jene als „Four Corners" bekannte Region, in der die Staaten Arizona, Utah, Colorado und New Mexico miteinender Grenzen teilen. Allein ihre physikalischen Daten sinderstaunlich: ca. 620.000 qkm umfaßt das Plateau, und ist damit fast so groß wie Deutschland und Italien zusammen. Seine durchschnittliche(!) Höhe über Meeresboden beträgt fast 2.000 Meter(Lucy haßt solche Höhen. Sie läßt keine Gelegenheit aus, uns das mit ihren ureigenen Mitteln zum Ausdruck zubringen: schwache Motorleistung, qualmender Auspuff, nagelnder Diesel. Und auch wir kommen schnell außer Atem, aber egal, da müssen wir alle drei durch).

 

Mit durchschnittlichen Jahresniederschlägenum die 50 cm gilt das Gebiet des Colorado Plateau botanisch als Halbwüste. Sonne, Wind, Wasser, Eis und die sprengende Kraft der Pflanzen haben faszinierende Canyons in den Boden geschürft undgrandiose Sandsteinskulpturen geformt. Die Nationalparks, die sich hier aneinanderreihen, sind – jeder für sich gesehen – spektakulär und einzigartig. Alle zusammengenommen in diesem vergleichsweise überschaubaren Gebiet sind sie schlicht überwältigend und rauben uns auch sprichwörtlich den Atem:

 

Am Anfang unserer 'Tour des Gorges' steht Zion Nationalpark ganz im Süd-Westen Utahs, etwa eine halbe Tagesreise von Las Vegas entfernt. Der Virgin River hat hier in Jahrmillionen einen tiefen Canyon geschaffen. Weiße, rosa- und rotfarbene Felswände steigen senkrecht auf. Unten am Fluß gedeiht eine üppige Vegetation in zu dieser Zeit prallen Herbstfarben. Mit dem Roller erkunden wir das Tal und fahren eine steile Paßstraße hinauf. Oben auf der Höhe geht's zu Fuß weiter. Ein kurzer Trail bringt uns zum Canyon Overlook, von wo aus wir einen dramatischen Blick hinab ins Tal genießen. Unter uns windet sich die Straße wie eine Schlange durch das enge Tal, die steilen Felswände ändern bei Sonnenuntergang minütlich ihre Farben: von mattem Rosa hin zu glühendem Rot und schließlich dunklem Grau. Wir sind überwältigt von dieser Szenerie.

 

Als wir bereits bei Dunkelheit unseren Platz am wunderschönen Campground wieder erreichen, trauen wir abermals unseren Augen nicht: neben uns steht ein VW-LT 4x4 mit Münchner Kennzeichen. Was fürschöne Überraschung! Silvia und Christoph (www.mankei-travel.com) sind, wie wir, seit einem halben Jahr unterwegs. Unsere Reisepläne sind beinahe identisch, auch sie wollen bis Weihnachten 2006 in Feuerland sein. Bis tief in die Nacht sitzen wir zu viert am Lagerfeuer, bereiten zusammen ein üppiges Abendessen zu,plündern unsere Weinreserven und haben uns viel zu erzählen. Sicherlich werden sich unsere Wege noch so manches Mal kreuzen.

 

Keine 100 Meilen weiter Richtung Nord-Ostenerreichen wir Bryce Canyon NP. Er gilt zu Recht als einer der spektakulärsten Nationalparks im Südwesten der USA. Allerdings ist die Bezeichnung Canyon falsch. Vielmehr stehen wir vor einergewaltigen, stellenweise über 700 Meter tiefen Abbruchkante, die sich auf ca. 40 Kilometer erstreckt. Erosion formte über 50 Millionen Jahre alte Gesteinsformationen zu bizarren Säulen und Türme, sogenannten Hoodoos . Der Ort ist magisch und skurril gleichermaßen. Wie in Stein gehauenen Skulpturen stehen die Felsen aufrecht in diesem gewaltigen Amphitheater. Man könnte meinen, auf einem anderen Planeten zu sein. Fasziniert und frierend schauen wir von 2.300 Metern Höhe hinunter in diese außerirdische Welt. Wenn aus einem dieser Türme plötzlich grüne Männchen mit riesigen Augen und gewaltigem Hinterkopf herausspazieren ... wen würde es wundern ...!

 

Wir fahren weiter über 3000 Meter hohe Pässe zum Arches National Park. Und wieder haben wir ein ganz neues Landschaftserlebnis: hier schufen (und schaffen) Wasser, Eis, extreme Temperaturen und ein wanderndes Salzbett grandiose Felsenbögen (arches) von teilweise gigantischen Ausmaßen. Der größte von ihnen, Landscape Arche, ist rund 30 Meter hoch und überspannt dendarunterliegenden Boden auf einer Länge von unglaublichen 100 Metern. Doch der schönste dieser Felsenbögen ist Delicate Arche:

 

Eine Stunde lang wandern wir durch staubige Halbwüste hinauf in karge Höhen. Ist es die dünne Luft, die das Laufen so mühsam macht? Die letzten 300 Meter ragt neben uns eine steile Felswand auf, die die Sicht versperrt. Oben angekommen öffnetsich die Wand unvermittelt und gibt den Blick frei auf eine dramatische Bühne: Am oberen Rand einer glatt geschliffenen, abfallenden Steinebene steht in der späten Nachmittagssonne diese gewaltige Felsenbrücke von archaischer Schönheit. Hinter ihr stürzt die Bergkante tief hinab in die weite Ebene, in der Ferne ragen die schneebedeckten Gipfel der Manti La Sal Berge auf.

 

Die ganze Szenerie istvon solch einer unwirklichen Ästhetik, daß wir uns beinahe benommen auf den nackten Felsboden niedersetzen und lange, lange den Moment wahrnehmen. Während der Ferienzeit im Sommer ist dieser Ort vonTouristen überlaufen, doch jetzt, Anfang November, sind wir zunächst allein. Wir hören den Wind zwischen den Felswänden wehen, das klagende „Ark-Ark" eines gewaltigen Rabes über uns, und unsereneigenen Puls meinen wir auch zu hören. Wir sind dankbarer Teil eines göttlichen Gesamten.

 

Eine Reisegruppe reißt uns nach einer halben Stunde aus diesem entrückten Zustand. Wir überlassen diesen lauten Menschen die Bühne und steigen euphorisch ab. Dicke Regenwolken ziehen auf, späteram Abend zucken Blitze und wir erleben unseren ersten Regen seit Wochen.

Am nächsten Morgen ist keine Wetterbesserung in Sicht. Wir blasen eine geplante Wanderung zum Devils Garden ab und machen uns wieder auf Richtung Süden, wo's wärmer und hoffentlich auch trockenerist.

 

Im Grenzgebiet zwischen Utah und Arizona erreichen wir das Navajo Reservat, das größte in den USA. Die Vorfahren der Navajos und auch der Apachen, lesen wir erstaunt, sind erst im 15.Jahrhundert aus Kanada eingewandert. Bereits im darauffolgenden Jahrhundert hatten sie erste Kontakte mit Spaniern, doch erst mit Ankunft der Angelsachsen im 19. Jahrhundert verloren sie nach undnach ihr Land und wurden schließlich 1868 ins Reservat verbannt. Heute bilden die Navajos mit etwa 175.000 Mitgliedern das größte indianische Volk des Landes, mehr als die Hälfte davon leben hier indiesem Gebiet.

 

Mitten drin im Navajo Land durchfahren wirMonument Valley. Aus unzähligen Hollywood Western und Zigarettenreklamen ist uns allen diese Szenerie wohl vertraut, das schmälert jedoch nicht unser „HALLO"- Erlebnis, als wir schließlichvon der Aussichtsplattform des Visitor Centers hinabschauen auf die spektakulären Massive.

 

Über steinige Piste fahren wir hinein ins Tal und verbringen einen Nachmittag zwischen gewaltigen Felsformationen und ausladenden Schmuckständen der Navajos. Unser Stellplatz für die Nacht istwohl der bestgelegenste seit Reiseantritt vor 6 Monaten: direkt an der Kante hinunter zum Valley stehen wir und genießen ein beispielloses „Zimmer mit Aussicht".

 

Den Höhepunkt unserer Rundreise in den Four Corners sparen wir uns für den Schluß auf. Das Colorado Plateau erreicht nach und nach Höhen von über 2.200 Meter, Lucy raucht wie gehabt und nagelt,was das Zeug hält, wir tun uns mit dem Luftholen schwer, doch nichts deutet darauf hin, daß wir bald am „spektakulärsten Loch aller Zeiten" (Zitat Süddeutsche) stehen werden: dem GrandCanyon! Als wir schließlich am South Rim die Kante dieser gewaltigen Erdspalte erreichen, sind wir starr vor Bewunderung. Auf 277 Meilen hat der Colorado River eine 10 Meilen breite undeine Meile tiefe Rinne geschürft, wie es sie kein zweites Mal auf diesem Planeten gibt. Vor uns tut sich eine gewaltige Unterwelt auf, ein negatives Gebirge, und das wollen wir „besteigen".

 

Zwei Pfade führen hinunter in die Mutter allerSchluchten: der „Bright Angle Trail" ist mit knapp 15 Kilometern der längere, dafür weniger steile Weg. Der „South Kaibab Trail", über den wir hinabsteigen werden, ist mit 11Kilometern deutlich kürzer, aber erheblich steiler. Außerdem gibt es hier entlang der gesamten Strecke kein Trinkwasser. 1.700 Meter Höhenunterschied sind es von der oberen Kante hinunter zumColorado. Am Vortag unserer Abstiegs besorgen wir uns ein Back Country Permit, das es uns erlaubt, hinunter zu wandern. Wir packen Schlafsäcke, Zelt, Isomatten, Lebensmittel und Wasserreserven inunsere Rucksäcke und gehen früh schlafen.

 

Die Nacht ist frostig kalt, doch dank Lucys hervorragender Isolierung bleibt's in unserer Kabine angenehm. Am nächsten Morgen laufen wir bei Sonnenschein aber eisigen Temperaturen los. Der Abstiegist unbeschwerlich. Um uns herum breitet sich eine imposante, rauhe Natur aus. Die Aussichten sind grandios. Die wahren Dimensionen dieses gewaltigen Canyons erfahren wir erst jetzt.

 

Wenige Menschen sind um diese Jahreszeit hier unterwegs. Eine Maultierkarawane von 6 Tieren, angeführt von zwei Rangern, begegnet uns auf halbem Weg. Die Tiere sind mit Säcken bepackt – weiß derHimmel, was darin steckt. Nach einer Wegbiegung steht plötzlich ein Hirsch mit ansehnlichem Geweih keine 3 Meter vor uns auf dem schmalen Pfad. Einer von uns muß ausweichen. Das Tier macht zunächstkeine Anstalten, den Platz zu räumen, wir auch nicht! Am Ende gibt der Klügere (der Hirsch) nach.

 

Nach 4 Stunden erreichen wir den Colorado. Hier unten ist's erheblich milder. Am Fluß ziehen wir Schuhe uns Strümpfe aus und tauchen die Füße ins kalte Wasser. Wir schlagen das Zelt auf einemausgewiesenen Campground auf, essen in der Bergkantine der „Phantom Ranch" zu Abend und liegen bereits um acht in den Schlafsäcken.

 

Der Wecker meiner Uhr klingelt um halb sieben. Draußen ist es noch stockfinster. Mit unseren Stirnlampen schaffen wir Licht zum Abbau des Lagers, essen kurz einen Müsliriegen, füllen alleWasserflaschen auf und machen uns - gerade, als im Osten das erste Tageslicht zu erkennen ist - auf den langen Weg über den „Bright Angle Trail" hinauf. Acht bis zwölf Stunden, lesen wir, benötigtman für den Aufstieg, um fünf Uhr nachmittags wird's dunkel, wir müssen uns also ranhalten. Statistisch gesehen muß an jedem zweiten Tag ein Rettungstrupp ausrücken, um jemandem, der es nichthinaufschafft, zu Hilfe zu eilen. Na schön!

Mit uns startet eine Gruppe von 6 etwa16-jährigen Jungs aus einer Privatschule mit ihrem Lehrer und stürmt voran. Auf den ersten Kilometern wandern wir über sachte ansteigenden Pfad den Fluß entlang. Dann biegt der Weg in eineSeitenschlucht ab und wird steil. Nach einer Stunde bereits machen wir eine kleine Pause und frühstücken ein zweites Mal. Von nun an werden wir mit unseren Bergstöcken unterwegs sein, sie erleichterndas Aufsteigen ganz enorm. Irgendwann überholen wir die Jungs, und sind einigermaßen stolz darüber. Doch kurz darauf rauschen sie wieder an uns vorbei und ziehen abermals davon. Einige Zeit später haben wir sie wieder erreicht. So geht das während des gesamten Aufstiegs; im Laufe der Stunden baut sich zwischen uns eine nette, verschworene Gemeinschaft auf. Es ist, als ob wir uns gegenseitig anspornen.

 

Auf halber Höhe an den „Indian Gardens", einer üppigen Oase in der eher kargen Felslandschaft, gibt's Trinkwasser und ein Plumpsklo. Noch einmal machen wir eine ausgiebige Pause und gehen dann dieletzten Kilometer an.

 

Das wirklich fiese am Bright Angle Trail ist, daß das mit Abstand mühsamste Teilstück das letzte Drittel ist. Nicht nur, daß hier der Weg am steilsten ist, auch die dünner werdende Luft erschwertdas Gehen und die Beine sind von den vielen, bereits zurückgelegten Kilometern bergauf, ziemlich müde. Die 6 Jungs haben mittlerweile einen nicht aufzuholenden Vorsprung ausgebaut. Unsere Schritte werden matter, unsere Trinkpausen häufen sich, und noch immer scheint der Gipfel weit entfernt zu sein. Höhenmeter um Höhenmeter erklimmen wir, längst marschiert jeder von uns nur noch nach seinemRhythmus – keiner ist in Gesprächslaune. Der letzte Kilometer scheint endlos. Als wir schließlich ziemlich erschöpft den South Rim erreichen, empfangen uns die 6 Schüler und ihre obengebliebenen Freundinnen mit lautem Applaus. Wir laufen durch eine Gasse von jubelnden jungen Menschen, die uns zurufen: "Yeah, you did it!!". Was für ein Empfang, was für ein starkes Erlebnis. Wirliegen uns in den Armen und empfinden Stolz und Genugtuung und Freude und Dankbarkeit. Und den Muskelkater in den kommenden Tagen ertragen wir würdevoll wie eine verdiente Trophäe.

 

Wenn es denn so ist, daß das Beste zum Schluß kommt, dann wird es jetzt Zeit, dieses Land zu verlassen. Unsere Visa laufen demnächst aus, und so langsam sehnen wir uns auch nach wärmeren Gefilden.Letzte Nacht hatten wir minus 11 Grad und geschneit hat es auch. Das muß ja nun wirklich nicht sein. Für die nördliche Baja meldet das Web sonnige 21 Grad. Was will uns das sagen? Richtig ...! Auf geht's, ... vamos a Mexico...!