Belize

Etwas Ungewöhnliches liegt in der Luft, als wir um die Mittagszeit den riesigen Saal betreten, in dem uns die Einreiseprozedur erwartet: Der Raum ist spärlich eingerichtet. Ein unterkühltes Neonlicht kann nichts gegen die schweißtreibenden Temperaturen ausrichten. Die Ventilatoren an der hohen Decke könnten es, doch die sind ausgeschaltet. Eine kleine Warteschlange reiht sich vor ein mannshohes Pult. Dahinter sitzt auf einem Podest ein schwerbeleibter Uniformierter, der die Pässe checkt. Wir füllen die üblichen Formulare aus, beantworten einige Fragen und bekommen unsere Stempel. Am nächsten, baugleichen Pult beantragen wir eine vorübergehende Einfuhrerlaubnis für Lucy und den Roller. Ein Zollbeamter notiert alle Daten in ein zerfleddertes Buch, wieder beantworten wir Fragen und bekommen schließlich einen zweiten Stempel in den Paß gedrückt sowie ein Permit, das es uns erlaubt, für 4 Wochen mit dem eigenen Fahrzeug im Land unterwegs zu sein. Der ganze Ablauf verläuft träge, aber routiniert und unkompliziert. Ungewöhnlich ist nicht die Prozedur, ungewöhnlich sind die Menschen, die hier in viel zu heißen Uniformen arbeiten: sie sind alle gut drauf! Kein albernes, selbstgefälliges  Machogetue und kein schlechtgelauntes, unverständliches Grummeln. Statt dessen freundliche Worte und Lächeln satt! Welcome to Belize!

 

Als die spanischen Eroberer Mittelamerika flächendeckend für sich vereinnahmten, hatten sie keine rechte Verwendung für den kleinen, verlassenen Landstrich zwischen dem heutigen Mexiko und Guatemala. Das zog schottische und englische Piraten an, die von hier aus schwerbeladene spanische Schiffe überfielen. Irgendwann ging das den Spaniern verständlicherweise mächtig auf den Geist. Sie forderten die Britische Regierung auf, dafür zu sorgen, daß die Überfälle aufhörten. Die kamen dem Wunsch gerne nach, konnten sie doch auf diese Weise konfliktfrei Einfluß auf ein Stück spanischem Besitz erlangen. Belize (bzw. British Honduras) wurde Teil des Vereinigten Königreichs, zunächst nur in kultureller und traditioneller Hinsicht, irgendwann dann auch ganz offiziell. Seit 1981 ist Belize unabhängig mit Englisch als offizieller Landessprache (und ganz ehrlich: es tut gut, eine Unterhaltung führen können, die wortschatzmäßig das Niveau einer Kleinkindergruppe übersteigt).

 

Ein paar Kilometer hinter der Grenze liegt an der Bucht von Chetumal das kleine Städtchen Corozal. Wir fahren durch schläfrige Strassen hinunter ans Ufer. Aus etlichen der eingeschossigen, einfachen Holzhäuser dudelt Reggae Musik. Hinter geöffneten Türen liegen Menschen in Hängematten und halten Siesta. Unten am Strand spielen dunkelhäutige Kinder in verdrecktem Wasser. Eine Open Air Bar hat geöffnet. Wir sitzen an der Theke (auf  Brettern, die an Seilen befestigt von der Decke hängen) und bestellen ein „Bilkini“, die einzige Biersorte, die üblicherweise in den Kneipen in Belize serviert wird. Wollen wir uns also gleich daran gewöhnen. Der Barkeeper auf der anderen Seite der Theke ist Kreole, ein Nachfahre von afrikanischen Sklaven und britischen Piraten. Er trägt unter einer farbigen Strickmütze eine beeindruckende Rastamähne, die wie ein Teppich an seinem Rücken hinunterfällt. Sein englischer Dialekt ist gewöhnungsbedürftig und herrlich cool („Yo mon, wots op!“).

 

Das kleine Belize ist ein Vielvölkerstaat: Kreolen bilden eine Mehrheit, gefolgt von Mestizen, Mayas, Garifunas (Nachfahren von afrikanischen Sklaven und karibischen Inselbewohnern), Europäern, Nordamerikanern, Chinesen und Indern. Der Eindruck mag täuschen, aber sie alle scheinen prächtig miteinander klarzukommen. In Belize herrschen vergleichsweise stabile demokratische Verhältnisse. Korruption ist zwar auch hier ein Problem und womöglich auch Rassismus, aber Militärputschs und Guerillakämpfe kennt das Land in seiner jungen Geschichte nicht. Vielleicht sind die Leute viel zu entspannt, um unnötige Energien für derartige Konfliktlösungen zu vergeuden. Statt dessen erheben sie „take it easy“ zur Kunstform. Wo sonst wird auf die Frage, wann Checkout Time ist, mit einem „Wann immer es Dir in den Kram paßt“ geantwortet.

 

Wir lassen die berühmten Mayaruinen Lamanai links liegen (unsere Pläne sehen satt derer die harte Tour vor: weiter im Westen des Landes wollen wir über rauhe Piste zur immer noch größtenteils vom Dschungel eingeschlossenen Ruinenstadt Caracol) und rauschen die rund hundert Kilometer durch bis Belize City. Auf der schmalen Landstrasse hinunter zur Hauptstadt passieren wir drei Polizeisperren. An zwei Sperren zeigen wir unsere Papiere und können weiterfahren, einmal wird Lucy nach Waffen und Drogen durchsucht. Das nervt und hält uns auf. Zu spät erreichen wir Belize City, um uns auf die Suche nach einem geeigneten Stellplatz für die Nacht zu machen und mieten uns daher ein im Hotel „Great Place“ (schon wahr: jemand hat wenig Fantasie in der Namensfindung bewiesen). Bei Sonnenuntergang bummeln wir durch das wenig reizvolle Zentrum. Alte japanische Pick Ups schieben sich durch enge Strassen, Rastatypen verkaufen an provisorisch gezimmerten Straßenständen Schmuck und Schnitzereien. Mestizen bieten gefüllte Tortillas an und aus einem CD-Laden dröhnt Reggae Musik in schmerzender Lautstärke. An jeder Ecke wird uns Marihuana angeboten und irgendwie beschleicht uns nach einiger Zeit auch das Gefühl, alle sind sie hier zugekifft. Der Schmuckverkäufer: zugekifft! Der Straßenarbeiter: zugekifft! Der Verkehrspolizist: zugekifft! Die spielenden Kinder an der Brücke: alle zugekifft! Dieser Eindruck geht einher mit der grundsätzlichsten aller Fragen: was machen wir hier eigentlich? Im Garten des Hotelrestaurants finden wir eine Antwort: lecker Essen gehen!

 

Belize ist größtenteils flach, heiß und schwül. Jetzt im April baut sich allmählich die Regenzeit auf. Das bedeutet, es ist noch heißer als sonst und noch schwüler. Selbst kurz vor Sonnenaufgang fällt das Thermometer kaum unter die 30 Grad Marke. Die Feuchtigkeit ist so hoch, daß Wäsche, die wir auf die Leine hängen, trotz der enormen Hitze nicht richtig trocken werden will. In unserer Wohnkabine quellen die Bretter auf und die Furnierbeschichtung löst sich da und dort. Das Notebook verweigert Befehle oder führt eigenmächtig Aktionen durch, um die keiner gebeten hat. Und auch wir zeigen verwunderliche Verhaltensmuster: jede Bewegung will wohl überlegt sein, hastige Abläufe vermeiden wir. Das Leben spielt sich in Zeitlupe ab, zwischendurch hält der Film immer mal wieder an und erstarrt in einer Art Standaufnahme. Die augenscheinlichste und verblüffendste Verwandlung aber (fast möchte man es als Metamorphose bezeichnen) beobachte ich - beunruhigt und erfreut gleichermaßen - an Sabine: sie entwickelt sich zur Frühaufsteherin!

 

Das Land ist in Teilen von dichten tropischen Wäldern bedeckt. In ihnen leben Papageie, Tukane und andere exotische Vögel, Krokodile, rund 60 Schlangenarten, Affen, Jaguare, Pumas und die ekelhaftesten, fliegenden Riesenkakerlaken, die sich der Planet ausdenken konnte. Im Belize Zoo & Tropical Education Centre, rund 30 Meilen westlich der Hauptstadt verschaffen wir uns einen Überblick über die Fauna der Region. Eine Handvoll Schlangenarten z.B. sind gefährlich und wir würden gerne wissen, welche. Nebenbei entstehen hier ein paar Fotos, die mich in freier Wildnis Wochen und wer weiß was noch so alles kosten würden.

 

Bei Cesars Place, schon recht nah an der guatemalaschen Grenze, errichten wir für die kommenden Tage eine Art Basislager. Cesar ist Südafrikaner. Vor 25 Jahren kam er als junger Hippie nach Belize und verkaufte hier selbstgemachten Schmuck aus Holz. Er blieb hängen, erwarb dieses herrliche Stück Land am Barton Creek und arbeitete weiter mit Holz, allerdings in anderen Dimensionen. Heute findet man im ganzen Land seine mannshohen Holzstelen, auf denn Mayaprofile, Götter und Tiere eingearbeitet sind. Ein Restaurant, Cabañas und Stellplätze für Reisemobile reihen sich um seine Werkstatt – 30 Mitarbeiter umfaßt mittlerweile sein kleines Imperium. Wir belegen ein schattiges Plätzchen unter einem Baum, errichten ein Regendach für alle Fälle und verschaffen uns bei etlichen Bädern unten am Fluß Erleichterung gegen die Hitze.

 

Die Osterfeiertage stehen an, wir müssen ein Paar Vorräte besorgen. Im nahen Ort San Ignacio kaufen wir am Markt frisches Obst und Gemüse und bei Joseph und Helens „German Bakery“ feines Vollkornbrot. Vor einem Jahr haben die beiden aus wirtschaftlichen Gründen Oberfranken verlassen und sind ins westliche Belize emigriert. Das muß man sich mal vor Augen führen: deutsche Bäcker verlassen die Heimat, weil sie da keine geschäftliche Zukunft sehen und finden selbige in Belize - einem Land, in dem geschätzte 30 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Der Laden von Joseph und Helen ist ein Stück deutsche Enklave: Die Vitrine und das Cafemobiliar standen vermutlich schon in Ihrer Bäckerei im Oberfränkischen, in der Auslage finden wir Schnecken und Kirschkuchen und anders feines Gebaeck – es duftet herrlich!

 

Am nächsten Morgen brechen wir früh auf. Über eine rauhe, kurvige Piste wollen wir tief in den wilden Dschungel des Mountain Pine Ridge Forest Reserves vordringen und die darin verborgenen Mayaruinen „Caracol“ erkunden. Vor rund 1400 Jahren, so lesen wir, lebten hier auf 88 Quadratkilometern rund 150000 Menschen, nicht viel weniger als heute in ganz Belize. Doch die wuchernde Natur hat sich das Land zurückerobert. Nur wenige von den geschätzten 36000(!) Baustrukturen sind bisher freigelegt.

 

Die Piste ist steinig und staubig. Die Hohen Temperaturen belasten uns und das Fahrzeug zusätzlich. Anfangs durchqueren wir einige Mayadörfer, wo Kinder hinter Lucy herrennen und ihre Väter unter tief sitzenden Strohhüten hervor einen neugierigen Blick riskieren. Hinter einer Kurve in freier Wildnis steht ein Isuzu Trooper in Schieflage am Wegesrand. Elias und Alex aus San Ignacio haben ihren linken Hinterreifen verloren. Vier der sechs Gewindeschrauben sind weggebrochen, keine einzige Mutter ist mehr aufzufinden. Werkzeug haben die beiden auch nicht dabei, sie stecken im Schlamassel. Wir fahren rechts ran, steigen aus und halten erstmal einen kleinen Plausch. Das Wetter läßt (s.o.) keine übereilten Aktionen zu. Irgendwann öffnen ich meine reich gefüllte Werkzeug-, Berge-, Notfall- und Eventualitätenkiste und packe aus – wie ein kleiner Junge, der stolz sein Spielzeug präsentiert. Wagenheber, Highjack, Schraubenkiste, Riesenratsche, osmosengesteuerter Sattelitenoszillograph und Bierschaumentsafter liegen auf der Strasse verteilt und wir machen uns an die Arbeit. Wir heben den Isuzu in zwei Etappen an, schieben das Rad auf die verbliebenen Schrauben, drehen zwei Muttern von anderen Rädern ab und ziehen den Reifen halbwegs fest. Das dauert erheblich länger als beschrieben (Zeitlupe …!) und ich staune, wieviel Liter Wasser der Körper auszuschwitzen vermag.  Schließlich ist der Wagen wieder soweit hergestellt, das die beiden vorsichtig weiterfahren können. Wir verabschieden uns, nicht, ohne vorher eine herzliche und ernstgemeinte Einladung zu Elias entgegenzunehmen und fahren weiter über diese üble Piste tiefer hinein in den Dschungel.

 

Die üppigen Wälder scheinen vor Feuchtigkeit zu dampfen, ein Tukan fliegt vor unserer Scheibe vorbei, das Rasseln der Insekten ist so laut, daß ich manchmal glaube, mit Lucys Motor stimmt was nicht. Bald werden wir Wasserfällen erreichen, an denen wir uns eine Pause gönnen wollen. Doch plötzlich vernehmen wir ein Klappern, das nun ganz sicher nicht von einer Grille stammt. Wieder fahren wir rechts ran und suchen die Ursache: vorne links ist die Stoßdämpferaufhängung gebrochen, der Dämpfer schlackert im Randkasten umher. So können wir die Fahrt nicht fortsetzen. Ich baue den Stoßdämpfer aus (verliere dabei nochmal etlicher Liter Wasser), wir kehren um und kriechen die 50 Kilometer zurück nach San Ignacio. Am Ortseingang ist eine Werkstatt, die die gebrochene Aufhängung in kurzer Zeit schweißen könnte Doch es ist Ostersamstag, vor Dienstag macht sich hier keiner die Finger schmutzig.

 

Also landen wir am späten Nachmittag etwas genervt und reichlich erschöpft bei Cesar und errichten erneut das Lager, das wir erst an diesem Morgen abgebaut haben. Wir schwimmen eine Runde im Fluß, ziehen uns saubere Klamotten an uns sitzen später an der Open-air-Bar des Restaurants. Die Dunkelheit bricht schnell ein über den Tropen Belizes. Grillen zirpen, eine Riesenkakerlake taumelt über die Theke und in der Ferne vernehmen wir das bedrohliche Gebrüll der Affen. Sabine sieht hinreißend aus in ihrem Leinentop und den neuen Ohrringen, die sie sich in Mexiko gekauft hat. Wir trinken einen karaibischen Cocktail aus Kokosnußrum mit Ananassaft. Die Mischung hat den verheißungsvollen Namen ‚panty-ripper’… vielleicht nimmt der verkorkste Tag ja doch noch eine versöhnliche Wendung …!