Mexiko: Baja California

Tecate, mexikanischen Grenze, Freitag, 15. Dezember 2005, kurz vor Mittag: die Sonne müht sich durch einen milchig trüben Himmel, hinterläßt auf ausgedörrter, karger Landschaft ein blasses Licht. Langsam rollen wir der Grenzstation entgegen. Meine feuchten Hände umklammern entschlossen das Lenkrad, Reisepässe, internationale Fahrzeugzulassung und 100 US$ in nagelneuen, kleinen, nicht nummerierten Scheinen liegen griffbereit auf unserem verstaubten Armaturenbrett.

 

Am geöffneten Schlagbau lehnt gelangweilt ein übergewichtiger, schnauzbärtiger Grenzbeamte. Gewaltige, dunkle Schwitzflecken zieren in Achselnähe sein tadellos gebügeltes Uniformhemd. Er winkt uns entgegen. Was will er bloß? Anhalten und Papiere zeigen? Anhalten und mit erhobenen Händen aussteigen? Ich bremse ab doch sein Winken wird heftiger. Weiterfahren sollen wir. Zögerlich rollen wir weiter und weiter und weiter … und enden schließlich mitten im Ort.

 

Irgend etwas lief jetzt gerade völlig schief: wir haben uns auf eine langwierige Einreiseprozedur vorbereitet, haben in diversen Reiseführern noch mal nachgelesen, was zu beachten ist und Vorausreisende gaben uns zusätzlich  per Email letzte Tips … und jetzt stehen wir hier auf mexikanischem Boden und mußten nichtmal unsere Pässe vorzeigen? Das kann’s nicht gewesen sein. Wir wenden, fahren die 500 Meter zurück zur Grenzstation, halten mitten auf der Straße und steigen aus. Da kommt Bewegung auf. Der schwitzende Grenzbeamte eilt uns keuchend entgegen und fordert mich aufgeregt auf, sofort das Fahrzeug zu entfernen. Immerhin haben wir nun seine Aufmerksamkeit auf uns gelenkt. Ich versuche, ihm in englisch und ein paar Brocken spanisch klarzumachen, daß wir Einreisepapiere und ein Fahrzeugpermit brauchen, er verweißt uns auf ein flaches Bürogebäude und wiederholt noch mal mit Nachdruck seine Forderung, Lucy zu entfernen. Na also, geht doch!

Im Immigrationsbüro müssen wir ein Formblatt ausfüllen, dann hinaus über die Straße, an einem Kassenhäuschen eine Gebühr in Höhe von 20 US$ abdrücken, wieder über die Straße zurück ins Büro, dort erhalten wir ein Touristenvisum für 6 Monate, wieder über die Straße in ein anderes Büro, wo wir eine Fahrzeuggenehmigung für Lucy beantragen, das kostet noch mal 27 US$ … nach einer Stunde haben wir die Prozedur über die Bühne gebracht, klatschen uns gegenseitig ab und reisen schließlich mit allen notwendigen Stempeln versehen ein nach  … Mexiko!

 

Wir sind noch keinen 10 Minuten auf holprigen Teerstraßen Richtung Süden unterwegs, wollen gerade Tecate hinter uns lassen, da stoppt uns eine mexikanische Polizeistreife. Na so was. Eben noch wollten die Herren in Uniform nix von uns wissen, jetzt können sie gar nicht genug von uns bekommen. Ein Polizeibeamter erscheint an unserem Fenster (schnauzbärtig, übergewichtig, schwitzend. Grenzbeamters Bruder?) und gibt uns selbstgefällig zu verstehen, daß wir in einer „school zone“ zu schnell gefahren sind. Wir?? Zu schnell?? Ist das ein Witz??? Lucy kann gar nicht zu schnell fahren. Dazu ist sie einfach nicht geschaffen. Außerdem hat uns auf den letzten Kilometern halb Tecate überholt! Wieso hält die keiner an? Wir fangen an, zu debattieren (was wegen der Sprachbarrieren ziemlich mühsam ist), wollen wissen, wo denn da ein Schild steht, da meint der Polizist ruppig, ich könne ja gerne in sein Polizeiauto steigen und er fährt mit mir zu besagter Stelle. Und um seiner Autorität Nachdruck zu verleihen, stoppt er gleich auch noch ein weiteres vorbeifahrendes Polizeifahrzeug und nun haben wir es mit drei schnauzbärtigen Polizisten zu tun. Ja super, bin ich denn hier in „Verstehen sie Spaß“?

 

150 Peso koste das Vergehen, teilt man uns mit. Wir müßten mit aufs Polizeirevier, das ist auf der anderen Seite der Stadt. „O.K“, sagen wir, „fahren wir los.“ Damit haben die Brüder nicht gerechnet. Ich starte Lucys Diesel und warte, daß einer vorausfährt (der schwitzende hat immer noch meine Papiere – alles hervorragende … Kopien). Schließlich fahren sie los, wir hinterher. Nach 500 Meter hält die Schnauzbart-Gang wieder an, übergebt mir meine „Papiere“ und meint wir sollten in Zukunft die Gesetze achten und die mexikanische Nationalhymne sollten wir auch auswendig lernen (nein, sagten sie nicht – hatten wir das schon mal?), dann brausen sie davon. Braten gerochen?

 

Dies war der erste, fehlgeschlagene Versuch, uns mal eben um ein paar Dollar für die Polizeikaffeekasse zu erleichtern. Daß wir uns tatsächlich bereit erklären würden, ihnen zu folgen und nicht vorgeschlagen haben, mit einer kleinen Spende die Sache aus der Welt zu schaffen, damit haben sie nicht gerechnet! Hehehe … merken wir uns …?!

 

So, nun aber los! Die Halbinsel Baja California hängt wie ein dünner Zipfel am US-Bundesstaat Kalifornien. 1.300 Kilometer erstreckt sie sich von Nord nach Süd, zwischen 45 und 170 Kilometer breit ist sie. Ihr Norden, durch den wir in den ersten Tagen fahren, ist von einer rauhen, trockenen Eintönigkeit. Die schmale, durchgehend geteerte Mex 1 verläuft zunächst nahe der Westküste und verabschiedet sich bei El Rosario ins bergige Hinterland. Der Verkehr ist spärlich. Die Mexikaner pflegen einen eigenwilligen Fahrstil: Straßenschilder erfüllen lediglich dekorative Zwecke. Überholt wird, wo immer die Straße breit genug ist. Und wenn da gerade eine Kurve oder eine unübersichtliche Kuppe ist … shit egal. Die Fahrbahn endet  vor einem tiefen Abgrund. Hier mal eben mit einem Reifen von der Straße abzukommen hat fatale Folgen. Lkw-Ladungen von Mandarinen oder Konservendosen im Straßengraben belegen dies eindrucksvoll. Die wenigen, staubigen Orte sind unattraktiv, die Häuser lieblos, die Menschen arm, aber stolz, freundlich und lebensfroh. Wir werden fair und herzlich behandelt, keiner versucht, uns übers Ohr zu hauen (deutsche Touristen genießen einen hohen Sympathiekredit). Überall dudelt Musik aus einem schäbigen Lautsprecher, eine flächendeckende Beschallung durch rhythmische Latinoklänge, die gelegentlich – kein Scherz – an Tiroler Volksmusik erinnert.

 

Wann immer es sich einrichten läßt, essen wir zu Mittag in einem der zahllosen kleinen Straßenrestaurants oder Imbisse. Die mexikanische Küche ist eine Entdeckungsreise für sich und basiert auf die Verschmelzung zweier Eßkulturen, der indianischen mit der spanisch/europäischen. Bohnenmus, Reis und eine gutgewürzte Salsa (Chilisoße) haben wir fast täglich auf dem Teller, dazu mal Enchiladas (zusammengerollte Tortillas), mal Quesadillas (zugeklappte Tortillas) und natürlich Tacos (belegte Tortillas) mit diversen Belägen bzw. Füllungen. Dazu ein Gläschen gewöhnungsbedürftigen Bajawein oder ein kühles Bier. Und immer als Desert eine Cola. Nicht als kulinarische Krönung, sondern als eventueller Killer, falls da irgendwas im Essen nicht mitteleuropäischen Reinheitsgewohnheiten entspricht.

Die Nächte verbringen wir auf einfachen Campgrounds oder in der freien Pampa. Wir hatten noch keine Nacht, in der wir uns unsicher fühlten oder glaubten, besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen zu müssen. Unsere einzigen nächtlichen Besucher sind streunende Hunde, die abgemagert und in bemitleidenswertem Zustand unser Lager umschleichen. Sie brechen uns das Herz. Am liebsten würden wir jeden einzelnen mitnehmen und wieder aufpäppeln. Auf den Straßen liegen ihre überfahrenen Kadaver und im südlichen La Paz (siehe unten) werden wir eine trächtige Hündin finden, der irgendein grausamer Spaßvogel eine altes Stromkabel um den Hals gebunden hat, das sie nun ständig hinter sich herzieht. Wir befreien sie von der Geißel mit dem Resultat, daß sie die nächsten zwei Tage vor unserem Hotel auf uns warten und uns bei unseren ausgiebigen Spaziergängen durch die Stadt auf Schritt und Tritt begleiten wird. Doch ich greife vorneweg.

 

Im mittleren Teil der Baja durchfahren wir eine menschenfeindliche Halbwüste, in der Yukkas, Agaven und vor allem Kakteen das Landschaftsbild prägen. Hunderte verschiedener Arten wachsen hier, am auffälligsten ist der Cardón, dessen gigantische Säulen es auf über 20 Meter Höhe bringen. Inmitten dieser stacheligen Pampa lernen wir ein deutsches Pärchen aus dem Schwabenland kennen. Wir reisen einige Zeit zusammen und schlagen in den Nächten ein gemeinsames Lager auf. In der kleinen, üppigen Oase San Ignacio campieren wir unter Dattelpalmen direkt am verschwenderischen, klaren Wasser, das von den Einheimischen „Ojo de Agua“ genannt wird, Auge des Wassers. Das Städtchen, eine einstige Jesuitenmission, ist von sympathischer Beschaulichkeit. Die alte Missionskirche an der Plaza ist gut erhalten, die Häuser drum herum malerisch und gepflegt – an der Ecke kaufen wir bei einer alten Dorfbewohnerin frische Datteln. Die sterile Welt der USA haben wir weit hinter uns gelassen und finden uns wieder in einer aufregenden, poetisch sinnlichen Gegenwelt!

 

Im subtropische Mulegé am palmenbestandenen Fluß Arroyo de Santa Rosalia nahe der Ostküste der Baja füllen wir Wasser- und Dieseltanks randvoll auf, bunkern Lebensmittel und horten Wein und Tequilla. Weihnachten liegt vor der Tür, und das wollen wir zu viert am malerischen Playa Requéson an der Bahía Concepcion feiern. In einer seichten, türkisblauen Bucht rund 30 Kilometer südlich der Oase errichten wir für die kommenden Tage ein Lager. Außer uns campieren noch einige Kanadier, die auf der Flucht vor dem kalten Winter in ihrer Heimat hier strandeten. Die Sonne scheint aus einem tiefblauen Himmel, erwärmt die Luft auf angenehme 25 Grad. Unter einer schattenspendenden Palapa – eine an zwei Seiten offene Hütte aus Palmwedel – sitzen wir und starren träge aufs kristallklare Wasser, lesen stundenlang oder erzählen uns gegenseitig unsere Reiseabenteuer. Mit dem Kanu erkunden wir die Umgebung über -, mit den Schnorcheln unter Wasser. Pelikane stürzen sich auf der Jagd nach Fischen vor unseren Augen ins Wasser, zänkische Möwen kreischen sich gegenseitig an, gelegentlich schwebt ein Geier lautlos über unsere Köpfe hinweg.

 

Unweit unseres Camps fahren jeden Morgen heimische Fischer hinaus aufs Meer und kehren 2 Stunden später mit üppigem  Fang – vor allem Rochen - zurück. Wir kaufen zwei Filets, finden das faserige Fleisch aber wenig geschmackvoll. Ich versuch noch mal selbst mein Glück beim Fischen, und werde endlich mit einem prächtigen Snapper belohnt, den wir uns mit reichlich Knoblauch und Olivenöl zubereiten. An Heilig Abend schmücken wir unsere Palapa mit Muscheln, Sarongs und Kerzen, bereiten zusammen ein - den einfachen Umständen entsprechendes - Festmahl zu und zelebrieren eine Feier, in der sicherlich wenig weihnachtliche Stimmung aufkommt, doch keiner von uns vermißt das wohl in diesem Moment.

 

Wir verbringen unbeschwerte, unvergeßliche Tage in dieser Bilderbuchszenerie. Am letzten Tag erweitert sich unsere Runde um 3 Neuankommlinge. Die drei kennen die Schwaben aus früheren Begegnungen. Erste Pläne werden geschmiedet für eine gemeinsame Silvesternacht, doch aus unerfindlichen Gründen scheinen Sabine und ich plötzlich aus diesen Planungen ausgeschlossen zu werden, und so endet die gemeinsame Zeit am Playa Requéson für uns mit einem fahlen Beigeschmack.

 

Auf dem Weg durch die Halbwüste weiter Richtung Süden haben wir es mit einem neuen Begleiter (und alten Bekannten) zu tun. Montezuma gesellt sich zu uns und rächt sich für was auch immer. Der Trick mit der Cola hat nicht so recht funktioniert. Wir rauschen durch bis La Paz, der Hauptstadt der südlichen Baja und beziehen an der Strandpromenade ein Zimmer mit Blick aufs Meer, in dem sich der alte Aztekenkönig so richtig austoben kann. Sein ehemaliges Reich werden wir bald mit eigenen Augen sehen. Für kommende Woche haben wir die Fähre aufs mexikanische Festland gebucht, wo wir uns auf die Ruinenstädte dieser indianischen Hochkultur freuen … (so, … und eh meine Überleitungen noch abenteuerlicher werden, will ich mal an dieser Stelle besser Schluß machen für heute …!).